Wer richtig belichtet, der braucht keine Bearbeitung? Falsch!
(Überarbeitet 03/21) Auch im Bereich Fotografie halten sich hartnäckig Ammenmärchen. Eines lautet:
„Lerne richtig belichten, dann brauchst Du keine Bildbearbeitung!“
Solche oder ähnliche Aussagen liest man immer mal wieder, gerade auch in den sozialen Netzwerken.
Angeblich reicht es also aus, wenn man richtig belichten kann. Richtig belichtet wäre das Bild dann fertig, weitere Schritte, speziell eine „Bildbearbeitung“, wären nicht nötig.
Das Ganze wird dann häufig auch noch mit dem Brustton tiefster Überzeugung vorgetragen. Und ergänzt um „Musste man früher ja auch nicht!“ oder „Der wahre Könner muss nicht bearbeiten!“ etc. pp..
Hört sich fast schon glaubhaft an.
Doch es ist grundlegend falsch! Gerade der Könner würde sich bei kritischen Bildern auf keinen Fall darauf einlassen, gut die Hälfte der Entscheidung für das Aussehen des Bildes einem mehr oder weniger dummen (und gefühllosen) Algorithmus im Computerteil der Kamera zu überlassen.
(Ein Video dazu folgt am Ende dieses Beitrags.)
Warum Digitalkameras gar keine Bilder fotografieren können.
Zugegeben, das ist etwas provokant formuliert.
Aber wenn man es genau nimmt, entstehen die digitalen Fotos tatsächlich erst nach dem eigentlichen Fotografieren, also nach der Belichtung. Sie werden erst danach im Computerteil der Kamera oder am heimischen Rechner durch Interpretation der aufgezeichneten Daten erzeugt.
Digitalkameras sind heutzutage grundsätzlich aus zwei zentralen Bereichen aufgebaut. Der erste Teil ist für die eigentliche Aufnahme zuständig, er macht die Belichtung. Hier werden aber noch gar keine Bilder erzeugt, sondern nur Helligkeiten gemessen.
Dazu besteht dieser Teil der Kamera in erster Linie aus dem Sensor, der aus Millionen (deren genau Zahl ist die Basis für die Megapixelwerte) kleiner „Solarzellen“ aufgebaut ist.Â
Diese winzigen elektronischen Bauteile werden jeweils, durch das Objektiv gelenkt, vom Licht eines kleinen, für jede Zelle individuellen Bildpunkts getroffen. Bei einer Kamera mit 24 Megapixeln wird das Motiv so in ein Raster aus 24.000.000 kleinen Bereichen zerlegt.
Die „Solarzellen“ reagieren dann auf das auftreffende Licht, indem sie elektrische Energie abgeben, ganz so wie die Solarzellen auf dem Hausdach. Wenn es im Motiv an der entsprechenden Stelle hell ist, erzeugt die Solarzelle während der Belichtung viel Energie, ist es im Motiv dagegen dort dunkel, ist es wenig Energie.
Die Menge der elektrischen Energie eines jeden Sensorpunktes wird von der Kamera gemessen und der Messwert wird gespeichert. Â
Damit ist der erste Teil des digitalen Fotografierens, die Helligkeitsmessung (bitte nicht verwechseln mit der Belichtungsmessung) abgeschloßen.
Da die „Solarzellen“ in Spalten und Reihen angeordnet sind, kann man sich das Speichern der erzeugten Messwerte am einfachsten wie das Füllen der Zellen einer sehr großen Exeltabelle vorstellen.
Jede Sensorzelle bekommt dann eine Zelle in der Tabelle. Und darin wird die Menge der von ihr erzeugten elektrischen Energie als Zahlenwert abgespeichert.
Die fertige Tabelle mit Millionen von Messergebnissen stellt dann das tatsächliche Ergebnis des Belichtens, des Fotografierens, dar.
Ein wenig boshaft formuliert: „In der digitalen Fotografie werden keine Bilder fotografiert, sondern Messergebnisse erzeugt und gespeichert.„
Bilder(er)findung
Nun möchte aber wohl niemand eine solche Tabelle statt eines Bildes an die Wand hängen. Und deshalb müssen die Zahlenwerte zum Bild umgewandelt werden. Das ist eigentlich auch gar nicht kompliziert, es ist eine Art „Malen nach Zahlen“.
Die Zelle mit den niedrigsten Zahlenwert wird dann sehr dunkel oder gar schwarz eingefärbt, die mit dem höchsten Wert wird sehr hell oder weiß. Und die anderen Zellen werden entsprechend ihres jeweiligen Zahlenwertes in der Helligkeit irgendwo zwischen Weiß und Schwarz angeordnet.Â
Da wir Menschen dunkle Bereiche heller wahrnehmen, als sie tatsächlich sind und vom Sensor gemessen werden, muss die Umwandlung an die menschliche Wahrnehmung angepasst werden. Die Fotografien würden sonst viel zu dunkel aussehen.
Ein Zelle mit niedrigem Zahlenwert (also ein dunkles Detail im Motiv) wird deshalb anders umgewandelt (interpretiert) als ein hellerer Bereich.
Spätestens hier verlassen wir also die einfache geradlinige Umwandlung in ein Bild und begeben uns in das Reich der Interpretation.
Und das gilt für jedes Bild, auch für das angeblich unbearbeitete JPEG aus der Kamera!
Denn auch solche „OOC„-Bilder (Out Of Cam) , die angeblich unbearbeitet direkt aus der Kamera kommen, müssen erst vom Kameracomputer interpretiert werden.
…in Farbe
Das ganze wird noch wesentlich dramatischer, wenn wir uns klar machen, das man so nur unterschiedliche Helligkeiten erfassen und darstellen kann, aber keine Farben.
Es würde auf diese Art ein Bild entstehen, das nur aus Helligkeitsinformationen besteht, es wäre aus unterschiedlichen hellen Bereichen von Schwarz bis Weiß aufgebaut.
Auf diese Art entsteht ein reines Graustufenbild, also ein Schwarzweißfoto ohne jede Farbinformation.
Erst mit einem „Trick“, der weitere umfangreiche Interpretationen der Messergebnisse nötig macht, kommt die Farbe ins Bild.
Und wie geht das in Farbe?
Um mit den heute üblichen Sensoren auch Farbinformationen zu erkennen, verwendet man einen „Trick“. Die einzelnen Bildaufnahmepunkte (Pixel) des Aufnahmesensors werden jeweils einzeln unterschiedlich gefiltert.
Vor jeder „Fotozelle“ sitzt dann ein kleiner farbige Filter, meist sind die Filter entweder Rot, Grün oder Blau. Die Farbfilter sind aber nicht gleichmäßig aufgeteilt, sondern es werden von den Bildsensoren ein Viertel rot, ein Viertel blau und die verbleibende Hälfte grün gefiltert. Das passt mit dieser Verteilung ganz gut zu der menschlichen Wahrnehmung, die auch deutlich grünorientiert ist.
Diese Filterungsmuster nennt man Bayerpattern.
Einige Hersteller verwenden mittlerweile aber auch andere Farben und Anordnungen.
Bayerpattern
Jeder Bildpunkt erkennt so nur die Helligkeit einer Farbe und für das spätere bunte Bild müssen für die Farbdarstellung jedes einzelnen Bildpunktes die Informationen aus mehreren Punkten zusammengerechnet werden. (Man nennt das Verfahren „Demosaicing „).
Probleme
Das klingt zwar plausibel und exakt, aber man kann durch diese Verfahren doch nicht alle Probleme lösen. Wenn z. B. ein von einem roten Motivpunkt ausgehender „Lichtstrahl“ nur eine blau gefilterte Aufnahemeinheit trifft, so ist er für dieses Bereich des Sensors nahezu unsichtbar und kann bei der Verrechnung überhaupt nicht berücksichtigt werden.
Der vom roten Licht getroffene blau gefilterte Sensorpunkt kann dann nicht nur die Farbinformation „Rot“ nicht sehen, sondern auch die tatsächliche Helligkeit des ihn treffenden Lichtstrahls bleibt für das Bild unerkannt.
Konsequenz: Ein prinzipiell ausreichend leuchtstarker roter Motivpunkt, der eigentlich „gesehen“ werden müsste, kann von der Kamera trotzdem nicht erkannt werden.
Es gibt heutzutage keine Digitalfotos (aus den heute üblichen Kameras, vielleicht ändert sich das ja irgendwann), weder in Schwarzweiß, noch in Farbe, die ohne diese Interpretation der Messergebnisse erzeugt werden könnten.
Ich habe versucht, die letzten beiden Absätze einigermassen kurz zu halten, ausführlichere Informationen zu dem Thema habe ich in meinem kostenlosen „Fotolehrgang im Internet“ veröffentlicht. Dort gibt es auch zum Thema digitale Bildaufzeichnung weitere Informationen.
Es lebe die Masse
Die Erzeugung des Bildes aus den fotografisch erzeugten Messergebnissen, die Interpretation des Belichtungsergebnisses, das in der „Exeltabelle“ festgehalten ist, übernimmt in der Kamera in der Regel der zweite Bereich, der „Computerteil“ der Kamera.
Er benutzt dafür Vorgaben und Verfahrensweisen, die in möglichst vielen Fällen zu zumindest ausreichend guten Bilder führen.Â
Das ganze soll für möglichst viele Kamerabesitzer passen, die Fotoindustrie passt deshalb die Umwandlung an die am meisten fotografierten Motive und den „Massengeschmack“ des Publikums an.
Seltener fotografierte Motive und individuelle Vorlieben, wie das Bild aussehen soll, können dabei natürlich nicht berücksichtigt werden.
Und auch kritische Situationen fallen aus dem Interpretationsraster, die „Schema F“ Umwandlung des in der Kamera eingebauten Computers kann solche Sonderfälle nicht berücksichtigen.
Sonderfall perfekte Belichtung
Leider können gerade auch perfekt belichtete Bilder für die Schema F Interpretation ein echtes Problem darstellen.
Auf dem Beispielbild oben ist ein Hund im Gegenlicht zu sehen. Das erfordert eine sehr präzise Belichtung, da der Helligkeitsumfang, den der Sensor der Kamera erkennen kann, vom Motiv komplett ausgereizt wird.
Am eingeblendeten Histogramm sieht man, dass da überhaupt keine bessere Belichtung möglich gewesen wäre.
Eine stärkere Belichtung hätte zwar den Hund heller gezeigt, aber der im Weiß verschwindende Bereich des Himmels wäre dadurch immer größer geworden. Und dieser Bereich hätten sich dann nie mehr mit Zeichnung und Struktur wiedergeben lassen.
Und eine knappere Belichtung hätte dagegen zwar den Himmel dunkler wiedergegeben, aber dann wären Teile des Hundes rettungslos im Schwarz verschwunden.
Nur durch diese spezielle von mir gewählte Belichtung (oder helligkeitsgleiche Varianten davon) werden (fast) alle Tonwerte im Motiv vom Sensor gemessen (also digital fotografiert) und von der Kamera gespeichert. Und nur das, was vom Sensor gemessen (und gespeichert) wird, steht auch fürs Bild zu Verfügung.
Dieses Bild ist also perfekt belichtet!
Ausarbeitung
Aber perfekte Belichtung alleine reicht nicht, das ergibt ja nur eine nette „Exeltabelle“. Vielmehr muss die Ausarbeitung auch passen. Und da scheitern von Zeit zu Zeit sowohl die „Schema F“-Entwicklung der Kamera als auch die Standardvorgaben von Lightroom Classic CC.
In diesem Beispiel hier wird der Hund, wie oben sichtbar, viel zu dunkel umgesetzt.
Erst durch eine Anpassung der Regler in Lightroom konnte ich dem richtig belichteten Bild auch das richtige Aussehen geben.
Erst dadurch gab es das wieder, was ich beim Fotografieren gesehen und empfunden (also wahrgenommen) habe.
Nur durch die Belichtung alleine, egal welche und egal wie richtig oder falsch, wäre das Bild so wie gewünscht dagegen nicht möglich gewesen. Selbst meine perfekte Belichtung konnte die Software nicht richtig umsetzen, erst durch mein Eingreifen in der Bildbearbeitung (hier besser „Ausarbeitung“ oder „Interpretation“) wurde das Bild so, wie es gewünscht war
Die Behauptung: „Wenn man richtig belichtet, muss man nicht bearbeiten, braucht man keine Software!“ ist also schlicht und ergreifend falsch!
Es wird dann im Schwerpunkt um die Ausarbeitung von RAW-Dateien und um die sinnvolle Verwaltung der Bilder gehen, in erster Linie wird Lightroom (Classic) zum Einsatz kommen.
Natürlich ist auch Zeit für Fragen der Teilnehmer.
Zur Nacharbeit stelle ich umfangreiches Material in Form von Videos zur Verfügung und stehe regelmässig bei meinen kostenlosen (Online-) Fototreffen für Fragen zur Verfügung.
Informationen und Anmeldung
Danke für die Aufmerksamkeit.
RAW nutzen!
Zum gegebenenfalls nötigen späteren Anpassen der Bildinterpretation ist es in jedem Fall sinnvoll, alle Helligkeitsinformationen der Aufnahme zu speichern. So dass möglichst viele Werte zur Ausarbeitung des Bildes zur Verfügung. Glücklicherweise sind viele Kameras in der Lage, die komplette „Tabelle“ der Messergebnisse zu speichern. Dazu muss man (oft im Punkt „Bildqualität“ der Kameramenus) die Speicherung der RAW-Dateien aktivieren.
Keine Sorge, man kann dann fast immer zusätzlich auch die üblichen  JPEG Dateien aufzeichnen lassen, so dass man wirklich nur im Falle des Falles an die RAW-Daten muss.
Das benötigt zwar insgesamt mehr Speicherplatz, es empfiehlt sich aber trotzdem, auf jeden Fall von der Kamera auch die RAW-Dateien aufzeichnen zulassen.
Zum Thema RAW und JPEG habe ich hier einen etwas ausführlicheren Artikel verfasst, Du findest ihn unter Warum soll ich in RAW fotografieren?
Sei schlau, trau nicht jedem
Auch im Bereich Fotografie solltest Du nicht jedem glauben. Es laufen da ein Haufen Halbwissende und Scharlatane herum, deren Mitteilungsbedürfnis (und Lautstärke) ihr jeweiliges Fachwissen bei weitem überschreitet. (Wer weiß, vielleicht gilt das ja auch für mich. ;-) )
Da werden auf den ersten Blick anscheinend richtige und zu Anfang durchaus logisch klingende Behauptungen wiederholt, die man irgendwo aufgeschnappt oder sich aus ungesundem Halbwissen selber zusammengebastelt hat.
Und wie das oft so ist, je weniger echte Fakten eine Aussage stützen, desto inbrünstiger wird sie gepredigt.
Du solltest also auch im Bereich Fotografie nicht so ohne weiteres alles glauben. Es gibt im Internet keine Kontrollinstanz, die überprüft, ob eine Behauptung auch stimmt.  Facebook und noch stärker Youtube erlauben es jedermann (im Rahmen der Gesetze), zu behaupten was er will.
Und nur weil jemand zigtausende Follower hat, heisst das nicht, daß er weiß, was Sache ist.
Benutz Deinen Kopf! Und lass Dir keinen Blödsinn erzählen!
(Lies auch „Trau, schau wem! oder Unter den Blinden ist der einäugige König“)
Trau, schau wem, da passt jetzt super ein Hinweis auf mich selber. ;-)
Wenn Du die Ausarbeitung von RAW Dateien lernen willst, wenn Du wissen willst, auf was Du achten solltest, welche Strategien sinnvoll sind, dann komm doch in meinen Grundlagenkurs zum Thema Bildbearbeitung.
AKTUELL
Fotokurs
für Anfänger
Der nächste Termin für meinen zweitägigen Grundlagen-Fotokurs (Zeche Zollverein) ist am Wochenende
18.01.25/19.01.25 (Sa./So.)
Weitere Termine:
22.02.25/23.02.25 (Sa./So.)
22.03.25/23.03.25 (Sa./So.)
Und was ist mit „OOC“?
Zum Thema „OOC“ habe ich einen eigenen Artikel geschrieben, Du findest ihn hier:
OOC-Foto – wieso weshalb warum?
Film ab
Um das ganze noch etwas ausführlicher darstellen zu können, habe ich zu dem Thema einen kleinen Film aufgezeichnet.
Damit werden der Zusammenhänge zwischen richtiger Belichtung und Ausarbeitung hoffentlich noch deutlicher. Und eine kurze Erklärung zum Histogramm gibt es da auch.
Kurzer Einschub
Du brauchst einen Einstieg in die Bildbearbeitung? Du suchst jemanden, der Dir die Ausarbeitung der Bilder verständlich erklärt? Dann komm doch in meinenMein Beitrag hat Dir geholfen?
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