Warum wird so oft ein 50mm-Objektiv empfohlen?

Illustrtaion zu: 50mm 1.8 von Canon. der Joghurtbecher

Ein Klassiker, das „50 1.8“ von Canon

(Ãœberarbeitet August 2020) Egal wo man sich umsieht, eine klassische Antwort auf die Frage „Welches Objektiv soll ich mir als nächstes kaufen?“ lautet: „50mm / F1.8„.
Es ist schon komisch, selbst jemand, der wie ich statt „Kaufen!“ immer eher „Lernen!“ empfiehlt, kann sich dem Charme eines preiswerten 50ers nicht entziehen. ;-)

Aber woran liegt das? Was ist das Besondere an diesen profanen 50mm Brennweite?
Dieser Frage möchte ich jetzt im Folgenden mal etwas genauer nachgehen. Und ich freue mich, wenn Du mir dabei folgst.

Damals

Mit dem Aufkommen der Kleinbildkameras begann der Siegeszug des 50ers. Diese Brennweite wurde an Kameras mit Kleinbildfilm und einer Negativgröße  von 24mm*36mm zum Standardobjetkiv.

Andere Kleinbildformate

Die digitale Fortsetzung des Halbformats, eine mFT Kamera (micro-Four-Thirds), die Pen F, meine derzeitige Lieblingskamera(*)

Es gab auch Kameras, die den Kleinbildfilm verwendeten, aber nur ein halb so großes Negativ (24mm*18mm) belichteten, die sogenannten Halbformatkameras. Dadurch passten 72 Bilder (statt 36) auf den typischen Kleinbildfilm.
Für das Halbformat wurden meist verschiedene Brennweiten als „Normalobjektiv“ verwendet. Eine Art digitale Weiterentwicklung des Halbformats ist das von mir gerne verwendete mFT (Micro-Four-Thirds) System.

Auch einige Panoramakameras verwendeten den Kleinbildfilm, belichteten aber deutlich breitere Negative. Die Höhe der Bilder betrug weiterhin 24mm, aber die Breite wuchs. Bei Fuji/Hasselblad z.B. auf 65mm, also fast doppelt so breit wie das klassische Kleinbildformat.
Und es ging noch einiges mehr …
Auch diese Kameras hatten wie die Halbformate andere Normalbrennweiten als das „135er“ Format der typischen Kleinbildkameras.

Im folgenden gehe ich bei Kleinbild aber vom klassischen 24*36er Format aus.

Die klassischen („analogen“, also auf Film belichtenden) Kleinbildkameras, speziell die entsprechenden Spiegelreflex- und Meßsucherkameras wurden oft zusammen mit einem solchen 50er als Standardbrennweite („Normalobjektiv“) verkauft.
Das diese Objektive damals so beliebt waren hatte mehrere Gründe.

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Warum (damals)

Es gibt viele Geschichten, die erzählt werden, wenn es um die Gründe für den Siegeszug des 50ers an Kleinbildkameras geht.
Der Klassiker darunter ist die angebliche Übereinstimmung mit dem menschlichen Blickfeld. Doch das ist Blödsinn!
Der Bereich, den wir visuell wahrzunehmen glauben ist viel, viel größer (fast 180° vertikal) als der Bereich, den das 50er auf einem klassischen Kleinbildfilm wiedergeben kann (ca. 45°). Es muss also ein anderer Grund sein.

Vermutlich liegt der Erfolg des 50ers daran, dass wir mit ihm an einer Kleinbildkamera ein Größenverhältnis von nahen zu fernen Objekten erhalten, das unserer alltäglichen visuellen Erfahrung ähnelt.
Natürlich ist dieses Größenverhältnis vom Aufnahmeabstand abhängig, aber mit dem 50iger an Kleinbild scheint man in vielen Situationen diesen „richtigen“ oder vertrauten Abstand für einzuhalten.
Durch diese gleichen Größenverhältnisse wirkt das 50er sehr unaufgeregt und eben „normal“.

Andere Brennweite — andere Größenverhältnisse

Wie und warum unterscheiden sich die Größenverhältnisse? Schauen wir uns zuerst den Fall einer kurzen Brennweite an. Mit einem solchen Weitwinkel muss man näher an den Vordergrund, um ihn gleich groß abzubilden.
Das hat massive Auswirkungen auf die Bildgestaltung, ein Beispiel soll das zeigen:

Die Distanz zwischen einer Person im Vordergrund und einem Gebäude im Hintergrund (im Bildbeispiel unten ist es eine Brücke) beträgt achtundneunzig Meter.
Wir möchten die Person groß im Bild haben, dazu haben wir zwei Möglichkeiten. Entweder fotografieren wir aus einer kurzen Entfernung mit Weitwinkel oder aus größerem Abstand mit einer längeren Brennweite.
Mit dem Weitwinkel können wir auf zwei Meter an die Person herangehen. Der Abstand zur Person beträgt dann zwei Meter, der zum Hintergrund einhundert Meter.

Wenn wir jetzt für ein weiteres Bild vom Weitwinkel zum engen Bildwinkel eines Teleonjektivs wechseln, ist die Person viel zu groß und passt gar nicht ganz ins Bild. Wir müssen den Abstand zur Person auf (z.B.) zehn Meter erweitern.
Durch die Vergrößerung des Abstands zwischen ihr und der Kamera um 400% wird sie dann deutlich kleiner und passt nun wieder – in gleicher Größe wie beim Weitwinkel abgebildet –  in das Bild.

Die Brücke ist jetzt natürlich auch weiter entfernt, aber die Zunahme des Abstands ist im Verhältnis gesehen deutlich kleiner. Sie ist nun nicht mehr einhundert, sondern einhundertundacht Meter entfernt. Dieser Abstand zu ihr hat sich nur um 8% verändert, sie ist kaum merklich kleiner geworden.
Der Aufnahmeabstand wirkt sich also relativ gesehen viel stärker auf den Bildvordergrund als auf den Bildhintergrund aus.

Bei kürzeren Brennweiten können/müssen wir näher heran, dadurch wird der jeweilige Bildvordergrund also deutlich größer als der Hintergrund abgebildet.

Manche Menschen empfinden das als übertrieben, manchmal sogar als eine Art „visuelles Schreien“.

Mit dem Tele ist es dagegen genau anders herum. Wir müssen weiter weg, dadurch wirkt der Hintergrund im Verhältnis zum Vordergrund größer. Der Raum erscheint verdichtet, das Bild wirkt ruhiger und aufgeräumter. 

Die langen Brennweite werden gerne von Einsteigern eingesetzt. Die meisten legen beim Kauf des ersten zusätzlichen Objektivs auf eine lange Brennweite Wert.
Aber es gibt selbstverständlich auch wirklich großartige Fotografen, die Teleobjektive eingesetzt haben — auch abseits der Themen Sport und wilde Tiere.
Ein Beispiel ist Andreas Feininger (Probier mal die Bildersuche bei Google), der zum Teil extrem lange Brennweiten verwendete.

Das Tele findet natürlich auch in der heutzutage anscheinend vom Weitwinkel beherrschten Landschaftsfotografie Anwendung.

Bei Motiven wie Sport oder wilden Tiere ist manchmal gar nicht die gestalterische Wirkung der langen Brennweite von Bedeutung bei der Entscheidung. Der Fotograf hat einfach wegen der großen Abstände beim Fotografieren (anscheinend) gar keine andere Wahl.

Weitwinkel und Tierfotografie?

Gerade in der Tierfotografie sind lange Brennweiten sehr beliebt. Sei es wegen der Fluchtdistanz der Tiere – oder der des Fotografen bei großen Raubtieren.
Dieser große Abstand führt aber zu Bildern, die nicht nur oft das Gefühl großer Distanz vermitteln, sondern auch die Wiedergabe der Körperproportionen der Tiere beeinflussen.

Diese Art der Darstellung kann, weil sie häufig eingesetzt wird, langweilig werden. Aber Alternativen  sind schwer. Um die Nähe des Weitwinkels zu zeigen, ist einiges an Aufwand nötig. Das kann man gerade auch bei der Tierfotografie, speziell bei Vögeln ganz gut sehen.

Aus normaler menschlicher Höhe wird der fliegende Vogel fast immer eher ein Schattenriss vorm hellen Himmel sein und man wird in erster Linie das unattraktivere Gefieder der Vogelunterseite sehen.
Wenn dann alternativ der über dem Tal kreisende Adler vom Berg herab fotografiert wird, hat man das im Sonnenlicht glänzende Gefieder im Bild.
Aber man ist weit entfernt und benötigt einen sehr kleinen Bildwinkel (langes Teleobjektiv). Dadurch wird der Vogel vor einem kleinen Ausschnitt des Hintergrundes gezeigt, das Gefühl des Fliegens und der Nähe will sich so nicht so recht einstellen.
Der über dem Tal kreisende Adler erinnert auf dem Foto im schlimmsten Fall an einen leblosen Schmetterling, der mit einer Stecknadel auf eine Pappe gespießt wurde, um im Naturkundemuseum präsentiert zu werden.

Das es anders geht, sieht man u.a. bei den Aufnahmen in dem Dokumentarfilm “ Die fantastische Reise der Vögel“ (Link unten).
In der unter gleichem Titel erschienen Fernsehserie wird in der letzten Folge gezeigt, wieviel Aufwand und Vorbereitung dafür nötig war.
Die Fotografen haben die Tiere (ganz wie Konrad Lorenz) nach dem Schlüpfen auf sich geprägt.
Dadurch war es möglich, die Tiere im Flug mit einem motorisierten Drachenflieger als Teil des Schwarms zu begleiten und aus kürzester Distanz zu fotografieren bzw. zu filmen.

So ist der Vogel groß im Bildvordergrund und trotzdem sieht man darunter die Welt bis zum Horizont. Das ergibt ein Gefühl des Fliegens und erzeugt eine Nähe, wie das aus großer Distanz mit dem Tele so nicht möglich wäre.

Hier geht es zu dem Film bei Youtube

Normal

Das Normalobjektiv (und das war zur Ära des die Fotoszene beherrschenden Kleinbildfilms eben fast immer das 50er) gibt die Größenverhältnisse für den menschlichen Betrachter eines Bildes häufig neutral wieder.

Dabei spielt der Abstand des Betrachters zum Bild an der Wand eine große Rolle. Es gibt da eine Art „übliche“ Distanz, die Betrachter einzunehmen scheinen. So nah wie möglich, um auch kleine Details zu sehen. Aber trotzdem so weit entfernt, daß er das Bild als ganzes ansehen kann.
Der sich dadurch ergebende Abstand ist dann natürlich abhängig von der Bildgröße. (Mehr dazu unter „Ausstellung und Auflösung„.)

Aus diesem Abstand betrachtet wirken die Größenverhältnisse in Bildern, die mit der Normalbrennweite aufgenommen wurden, „neutral“. (Die gleiche Wirkung könnte man auch mit kürzeren Brennweiten erreichen, der Betrachter müsste aber näher an das Bild heran. Und für lange Brennweiten müsset er sich das Bild aus größerer Entfernung ansehen.)

Das 50er „passte“ damals an den weit verbreiteten Kleinbildkameras also einfach.

Preiswert

Weil es passte, wurde es sehr oft verwendet. Als Normalobjektiv war es das „Kitobjektiv“ dieser Zeit und gehörte beim Kamerakauf quasi dazu.
Es wurde so sehr oft gekauft und durch die großen Stückzahlen wurde der Aufwand je Objektiv geringer und der Preis konnte sinken. Das wirkst sich bis in unsere Zeit aus, das klassische 50er ist heutzutage immer noch oft ein Schnäppchen(*).

Das 50er konnte auch mit überschaubarem Aufwand große Lichtstärke aufweisen. Und so begann zwischen den Herstellern einer Art Wettlauf um das lichtstärkste Normalobjektiv.
Das führte dazu , dass zu einer Zeit, als Blende 4 oder knapp darunter für Weitwinkel und Teleobjektive als größtmögliche Öffnungen üblich waren, das Normalobjektiv mit Blende 1.8 angeboten wurde.

Unterschiedliche Sensorgrößen

Und das ist der Stand bis heute, es gibt (zumindest bei den beiden großen DSLR-Herstellern) am 50iger im Verhältnis sehr viel Lichtstärke für relativ wenig Geld.
Und für die Nutzer spiegelloser Systemkameras (DSLM -> Digital Single Lens Mirrorless) gibt es einen großen Markt alter 50er („Altglas“), die man mit entsprechenden Adaptern verwenden kann. [Dann aber fast immer ohne Autofokus und (elektronische) Blendenübertragung.]

Heutzutage werden die meisten DSLMs und DSLRs mit Sensoren verkauft, die etwas kleiner sind als der Kleinbildfilm („APSC“-Sensoren).
Diese Sensoren erfassen von dem Bildkreis eines 50ers (siehe auch hier) nur einen kleineren Ausschnitt.

Das digitale „Vollformat“ ist  mit ca. 24mm*36mm so groß ist wie der früherer Kleinbildfilm. Um damit den gleichen Ausschnitt  zu erreichen, müsste man dann eine längere Brennweite einsetzen. Ein 85er kommt dem nahe.
Beide Objektive sind an den jeweiligen Sensoren  — das 85er an Kleinbild, das 50er an APSC —leichte Tele mit einem erfassten Bildwinkel von etwa 25°.

Man nennt Objektive, die diesen Bildwinkel wiedergeben auch gelegentlich „Portraitobjektive“. Bei dieser Namensgebung spielt erneut der Abstand des Motivs zum Objektiv eine Rolle.


10 thoughts on “Warum wird so oft ein 50mm-Objektiv empfohlen?

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  5. Paul

    Hallo,
    etwas zu den 50 mm Objektiv:
    ,,meine Reise nach Bulgarien, Georgien, Palästina, Spanien: in Gärten und Palästen der Mauren und Markt in Santanyi habe ich alles mit APS-C Sensor Festbrennweite 35 mm F 1,8 fotografiert„.
    Zu Zeit fotografiere ich sehr viel mit MFT Festbrennweite 14 mm F2,5. Ich muss sagen von der Bildgestaltung viel schwieriger aber die Fotos finde ich super von der Bildaussage.
    Noch besser wie bei APS-C 35 mm bzw. MFT 25 mm.

    Antworten
  6. Retrofoto

    Sehr schöner Beitrag. Das 50mm ist echt ein Klassiker. Nutze es sehr gerne.

    Kleine Kritik am Rande. Mir ist beim lesen aufgefallen dass du häufig „50iger“ schreibst. Korrekt wäre 50er.

    Viele Grüße

    Antworten
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