Das richtige Objektiv für Porträts (und der richtige Abstand)
(Akt. August 2023) Porträts sind eines der beliebtesten Fotothemen, deshalb wird die Frage „Was ist das richtige Objektiv, die richtige Brennweite für ein Porträt?“ auch sehr häufig gestellt.
Die meisten Einsteiger in das Thema merken dann anhand der Antworten recht schnell, dass sich da einige Antworten ähneln und heutzutage viele Fotografen gerade für Portraits gerne ein Objektiv mit großer Lichtstärke einsetzen.
Woran liegt das? Und ist das immer sinnvoll?
Am Rande: mal Portrait und mal Porträt? Ja, die Suchmaschinen machen das anscheinend nötig…
Doch was ist jetzt das richtige Objektiv für Portraits?
Dieser Hinweis darf auf keinen Fall fehlen: Selbstverständlich kann man auch mit mehr oder weniger gemäßigten bis extremen Weitwinkel- und Teleobjektiven spannende Portraits aufnehmen (es ist allerdings manchmal etwas schwieriger).
Mir geht es in diesem Text um die Bildwinkel (Brennweiten), die „klassisch“ für Porträts empfohlen/eingesetzt werden. Speziell um das „Warum?“, um den Grund für die Entscheidung für diese Objektive.
Wenn man den Zusammenhang versteht, fällt es sicherlich leichter, sich bewusst für andere Brennweiten entscheiden.
Was ist den nun das „richtige“ Objektiv?
Bei dieser Fragestellung gilt es primär zwei Dinge zu beachten.
Erstens ist der Aufnahmeabstand für die Wirkung eines Porträt sehr wichtig. Dieser wird bestimmt durch die Brennweite des Objektivs, die zusammen mit der Film-/Sensorgröße und dem gewünschten Bildausschnitt (meist Gesicht/Kopf plus ein wenig Oberkörper) den Aufnahmeabstand für ein Porträt festlegt.
Mit einem kleineren Bildwinkel (durch eine längere Brennweite und/oder einen kleineren Sensor) muss man den Aufnahmeanstand für den gleichen Ausschnitt vergrößern.
Zweitens ist die Lichtstärke des Objektivs entscheidend, da nur sie sich ausschliesslich auf die Schärfentiefe auswirkt. (Die sich ebenfalls auf die Schärfentiefe auswirkenden Werte für Abstand, Brennweite und Sensorgröße sind ja bereits unter „Erstens“ festgelegt.)
Lichtstärke
Unter einer großen Lichtstärke versteht man eine große Blendenöffnung (oft wird das auch verkürzt und nicht ganz richtig als „Große Blende“ bezeichnet, obwohl ja die Blendenfläche bei großer Öffnung immer kleiner wird.)
Mit den großen Blendenöffnungen solcher Objektive ist es zum einen möglich, auch bei wenig Licht noch zu fotografieren und zum anderen (und das ist gestalterisch wichtiger) recht kleine Schärfentiefen zu erzeugen.
Mit der geringen Schärfentiefe solch großer Blendenöffnungen kann dann ein störender Hintergrund ausgeblendet werden und der/die Portraitierte hebt sich plastisch vom unscharfen Hintergrund ab, ein Effekt, der gerne verwendet wird. (Aber nicht immer richtig ist!)
Brennweite
Doch was ist mit der Brennweite? Welches ist denn die passende Brennweite für ein Portrait?
Da gehen die Meinungen weit auseinander. Unter anderem, weil schon die Frage nicht ganz richtig gestellt ist.
Die Brennweite alleine reicht nicht aus, um den „Charakter“ eines Objektivs zu beschreiben.
Sehen wir uns das mal ein bisschen systematischer an. Schauen wir uns zuerst noch einmal das Thema Schärfentiefe an , um danach auch auf den Zusammenhang von Brennweite, Sensorgröße und Bildwinkel zu blicken.
Vorab
Ich gehe im Folgenden nur auf die allgemeinen Eigenschaften von Objektiven ein, spezielle Unterschiede in der Schärfeleistung und Abbildungsart (u.a auch der unscharfen Bereiche) einzelner Objektivkonstruktionen lasse ich bewusst außen vor.
Mir geht es weniger um eine konkrete Kaufempfehlung als mehr um allgemeine Überlegungen, die dann zu einem konkreten Objektivtyp führen können.
Schärfentiefe
Heutzutage wird häufig versucht, die portraitierte Person durch eine geringe Schärfentiefe frei zu stellen. Das ist zwar nicht immer sinnvoll, aber es ist halt so üblich. (Und wenn es alle so machen und es insbesondere auch viele meiner Kollegen Foto-Erklärbaren so vorbeten, dann muss das ja wohl richtig sein.)
Für diese Form des „Freistellen“ (darunter verstanden die Profis in der Studiofotografie früher übrigens etwas ganz anderes, eine Ausleuchtung des Motivs ohne Schatten auf weißen Hintergrund) benötigt man vor allem lichtstarke Objektive, die durch große Blendenöffnungen (also kleine Blendenzahlen) für eine kleine Schärfentiefe und damit für eine starke Unschärfe des Hintergrunds sorgen. Eine eher kleiner Bildwinkel verstärkt das dann noch.
Der Vollständigkeit halber will ich aber noch ergänzen, dass zum einen auch der Sensor eine Rolle spielt, weil man durch einen großen Sensor bei sonst gleichen Voraussetzungen in Bezug auf Bildwinkel (siehe weiter unten) und Aufnahmeabstand bei gleicher Blendenzahl mehr Unschärfe erzeugen kann.
Und zum anderen beeinflusst auch der Aufnahmeabstand (indirekt ist dieser ja festgelegt durch den Bildwinkel, die Brennweite im Verhältnis zum Sensor) die Schärfentiefe.
Aber dieser Abstand ist wie die Brennweite (besser: der Bildwinkel) aus weiter unten folgenden Gründen quasi „gesetzt“ und kann deshalb zur Beeinflussung der Schärfentiefe bei Portraits nicht so ohne weiteres herangezogen werden.
Brennweite vs. Bildwinkel
Oft kommen bei der Frage nach dem passenden Objektiv in den diversen Foren und „Social-Media“ Gruppen schnell sehr konkrete Objektivempfehlungen. Meist sind diese auch durchaus gut gemeint. („Nimm XY, das muss gut sein, denn das habe ich auch!“ oder gar „Nimm XY, denn das würde ich mir auch gerne kaufen!).
Manchmal wird so eine Empfehlung auch ergänzt mit Beispielfotos, deren Qualität man aber nach der „Facebook-Komprimierung“ kaum noch beurteilen kann. Erst recht, weil man in der Regel nichts um die Begleitumstände der Aufnahme weiß.
Aber kann man wirklich einfach sagen, nimm dieses 85er, das ist das richtige für Portraits?
Nein, das funktioniert nicht! Wir müssen erst einmal wissen, welche Kamera überhaupt verwendet werden soll.
Die Größe des Aufnahmesensors des Kameramodells hat starken Einfluss darauf, welcher Bildausschnitt, welcher Bildwinkel aus dem Bildkreis des Objektivs tatsächlich abgebildet wird.
Bildkreis und Sensor
Der für ein Bild genutzte Bildwinkel ist abhängig von Brennweite und Sensorgröße.
Das Objektiv erzeugt unabhängig von der Kamera einen Bildkreis, von dem ein kleinerer Sensor dann einfach weniger sieht.

Motiv und der vom Objektiv in die Kamera projizierte Bildkreis

Der kleinere Sensor rechts sieht nur einen kleineren Ausschnitt des Bildkreises, den das Objektiv erzeugt
Der größere Sensor erfasst einen großen Teil des Bildkreises. Der kleinere Sensor erfasst dagegen aus dem großen Bildkreis nur einen Ausschnitt, der aufgezeichnete Bildwinkel ist trotz gleicher Brennweite kleiner (das verführt leider schnell zu dem häufig verwendeten, aber fachlich falschen Begriff der „Brennweitenverlängerung“ durch kleinere Sensorgrößen).
Wir müssten am kleineren Sensor eine kürzere Brennweite (einen größeren Bildwinkel des Objektivs) verwenden um den gleichen Motivausschnitt, den gleichen Bildwinkel aufzuzeichnen.
Oder wir müssten, um die Häuser in relativ gleicher Größe auf dem kleineren Sensor abzubilden, aus größerer Entfernung fotografieren. Ein veränderter Abstand hätte aber großen Einfluss auf die Bildgestaltung. (mehr dazu weiter unten).
Die Angabe der Brennweite alleine bedeutet also nicht viel. Die Wahl des „richtigen“ Objektivs für Portraits hängt vielmehr stark von der verwendeten Kamera ab.
Erst wenn die Sensorgröße bekannt ist, sind mit der Brennweite die Schärfentiefe und der aufgezeichnete Bildwinkel festgelegt. Und dieser jeweils vom Sensor erfasste Bildwinkel hat indirekt, über den damit notwenigen / möglichen Aufnahmeabstand, starken Einfluß auf die Bildgestaltung.