Das richtige Objektiv für Porträts (und der richtige Abstand)

Illustration zu: "Welches Objektiv für Portraits?"

Welches Objektiv für Portraits?

(Akt. Februar 2024) Porträts sind eines der beliebtesten Fotothemen, deshalb wird die Frage „Was ist das richtige Objektiv, die richtige Brennweite für ein Porträt?“ auch sehr häufig gestellt.
Die meisten Einsteiger in das Thema merken dann anhand der Antworten recht schnell, dass sich da einige Antworten ähneln und heutzutage viele Fotografen gerade für Portraits gerne ein Objektiv mit  großer Lichtstärke einsetzen.

Woran liegt das? Und ist das immer sinnvoll?

Am Rande: mal Portrait und mal Porträt? Ja, die Suchmaschinen und dei Rechtschreibreform machen das anscheinend nötig…

Doch was ist jetzt das richtige Objektiv für Portraits?

Dieser Hinweis darf auf keinen Fall fehlen: Selbstverständlich kann man auch mit mehr oder weniger gemäßigten bis extremen Weitwinkel- und Teleobjektiven spannende Portraits aufnehmen (es ist allerdings manchmal etwas schwieriger).
Mir geht es in diesem Text um die Bildwinkel (Brennweiten), die „klassisch“ für Porträts empfohlen/eingesetzt werden. Speziell um das „Warum?“, also um den Grund für dieBevorzugung dieser Objektive (besser: Bildwinkel).
Wenn man den Zusammenhang versteht, fällt es sicherlich leichter, sich bewusst für andere Brennweiten entscheiden.

Was ist den nun das „richtige“ Objektiv?
Bei dieser Fragestellung gilt es primär zwei Dinge zu beachten.
Erstens ist der Aufnahmeabstand für die Wirkung eines Porträt sehr wichtig. Dieser wird bestimmt durch die Brennweite des Objektivs, die zusammen mit der Film-/Sensorgröße und dem gewünschten Bildausschnitt (meist Gesicht/Kopf plus ein wenig Oberkörper) den Aufnahmeabstand für ein Porträt festlegt.
Mit einem kleineren Bildwinkel (durch eine längere Brennweite und/oder einen kleineren Sensor) muss man den Aufnahmeanstand für den gleichen Ausschnitt vergrößern.

Zweitens ist die Lichtstärke des Objektivs entscheidend, da nur sie sich ausschliesslich auf die Schärfentiefe auswirkt. (Die sich ebenfalls auf die Schärfentiefe auswirkenden Werte für Abstand, Brennweite und Sensorgröße sind ja bereits unter „Erstens“ festgelegt.)

Vorab

Ich gehe im Folgenden nur auf die allgemeinen Eigenschaften von Objektiven ein, spezielle Unterschiede in der Schärfeleistung und Abbildungsart (auch der unscharfen Bereiche) einzelner Objektivkonstruktionen lasse ich bewusst außen vor.
Mir geht es weniger um eine konkrete Kaufempfehlung als mehr um allgemeine Überlegungen, die dann zu einem konkreten Objektivtyp führen können.

Häufig werden dabei Lichtstärke und Brennweite als entscheidend angeführt.

Lichtstärke

Unter einer großen Lichtstärke versteht man eine große Blendenöffnung (oft wird das auch verkürzt und nicht ganz richtig als „Große Blende“ bezeichnet, obwohl ja die Blendenfläche bei großer Öffnung immer kleiner wird und der angezeigte Blendenwert klein ist.)
Mit den großen Blendenöffnungen solcher Objektive ist es zum einen möglich, auch bei wenig Licht noch zu fotografieren und zum anderen (und das ist gestalterisch wichtiger) recht kleine Schärfentiefen zu erzeugen.

Mit der geringen Schärfentiefe  kann dann ein störender Hintergrund ausgeblendet werden und der/die Portraitierte hebt sich plastisch vom unscharfen Hintergrund ab, ein Effekt, der gerne verwendet wird. (Aber nicht immer richtig ist!)

Schärfentiefe

Heutzutage wird häufig versucht, die portraitierte Person durch eine geringe Schärfentiefe „freizustellen“. Das ist zwar nicht immer sinnvoll, aber es ist halt so üblich. (Und wenn es alle so machen und es insbesondere auch viele meiner Kollegen Foto-Erklärbaren so vorbeten, dann muss das ja wohl richtig sein.)

Für diese Form des „Freistellen“ (darunter verstanden die Profis in der Studiofotografie früher übrigens etwas ganz anderes, eine Ausleuchtung des Motivs ohne Schatten auf weißen Hintergrund) benötigt man vor allem lichtstarke Objektive, die durch große Blendenöffnungen (also kleine Blendenzahlen) für eine kleine Schärfentiefe und damit für eine starke Unschärfe des Hintergrunds sorgen. Eine eher kleiner Bildwinkel verstärkt das dann noch.

Der Vollständigkeit halber will ich aber noch ergänzen, dass zum einen auch der Sensor eine Rolle spielt, weil man durch einen großen Sensor bei sonst gleichen Voraussetzungen in Bezug auf Bildwinkel (siehe weiter unten) und Aufnahmeabstand bei gleicher Blendenzahl mehr Unschärfe erzeugen kann.

Und zum anderen beeinflusst auch der Aufnahmeabstand (indirekt ist dieser ja festgelegt durch den Bildwinkel, die Brennweite im Verhältnis zum Sensor) die Schärfentiefe.
Aber dieser Abstand ist wie die Brennweite (besser: der Bildwinkel) aus weiter unten folgenden Gründen quasi „gesetzt“ und kann deshalb zur Beeinflussung der Schärfentiefe bei Portraits nicht so ohne weiteres herangezogen werden.

Ob wirklich eine kleine Schärfentiefe sinnvoll ist, hängt nicht so sehr von den Meinungen der Erklärbaren als mehr von den Gestaltungsideen des Fotografen ab.
bevorzugen es, eine Person nicht wie ein ein Katalogobjekt ohne Bezug zum Hintergrund zu fotografieren.
Für mich ist die Geschichte zu der Person wichtig und um die zu erzählen kann ein detaillierter Hintergrund entscheidend sein.
Ich möchte beim Portrait eines Schusters das Regal mit den braunen Papiertüten mit den reparierten Schuhen, die auf ihre Besitzer warten, im Hintergrund sehen.
Hohe Lichtstärke hilft mir da nur sehr bedingt.

Brennweite

Und  was ist mit der Brennweite? Welches ist denn die passende Brennweite für ein Portrait?
Da gehen die Meinungen weit auseinander. Unter anderem, weil schon die Frage nicht ganz richtig gestellt ist.

Die Brennweite alleine reicht nicht aus, um den „Charakter“ eines Objektivs zu beschreiben.
Eigentlich geht es um den Bildwinkel , den das Objektiv erfasst. Und der ergibt sich aus der Brennweite des Objektivs und der Größe des Aufnahmemediums (Film/Sensor).
(Ausschnitte und spezielle Aufnahmetechniken wie „Brenizer“ mal außen vor gelassen)

Brennweite vs. Bildwinkel

Oft kommen bei der Frage nach dem passenden Objektiv in den diversen Foren und „Social-Media“ Gruppen schnell sehr konkrete Objektivempfehlungen. Meist sind diese auch durchaus gut gemeint. („Nimm XY, das muss gut sein, denn das habe ich auch!“ oder gar „Nimm XY, denn das würde ich mir auch gerne kaufen!).
Manchmal wird so eine Empfehlung auch ergänzt mit Beispielfotos, deren Qualität man aber nach der „Facebook-Komprimierung“  kaum noch beurteilen kann. Erst recht, weil man in der Regel nichts um die Begleitumstände der Aufnahme weiß.

Aber kann man wirklich einfach sagen, nimm dieses 85er, das ist das richtige für Portraits?
Nein, das funktioniert nicht! Wir müssen erst einmal wissen, welche Kamera überhaupt verwendet werden soll.
Wie schon geschrieben, die Größe des Aufnahmesensors der Kamera hat starken Einfluss darauf, welcher Bildausschnitt, welcher Bildwinkel aus dem Bildkreis des Objektivs tatsächlich abgebildet wird.

Bildkreis und Sensor

Der für ein Bild genutzte Bildwinkel ist abhängig von Brennweite und Sensorgröße.
Das Objektiv erzeugt unabhängig von der Kamera einen Bildkreis, von dem ein kleinerer Sensor dann einfach weniger sieht.

Illustration zum Thema Bildkreis

Motiv und der vom Objektiv in die Kamera projizierte Bildkreis

Illustration zu "Der kleinere Sensor erfasst aus dem großen Bildkreis nur einen Ausschnitt "

Der kleinere Sensor rechts sieht nur einen kleineren Ausschnitt des Bildkreises, den das Objektiv erzeugt

Der größere Sensor erfasst einen großen Teil des Bildkreises. Der kleinere Sensor erfasst dagegen aus dem großen Bildkreis nur einen Ausschnitt, der aufgezeichnete Bildwinkel ist trotz gleicher Brennweite kleiner (das verführt leider schnell zu dem häufig verwendeten, aber fachlich falschen Begriff der „Brennweitenverlängerung“ durch kleinere Sensorgrößen).

Wir müssten am kleineren Sensor eine kürzere Brennweite (einen größeren Bildwinkel des Objektivs) verwenden um den gleichen Motivausschnitt, den gleichen Bildwinkel aufzuzeichnen.
Oder wir müssten, um die Häuser in relativ gleicher Größe auf dem kleineren Sensor abzubilden, aus größerer Entfernung fotografieren. Ein veränderter Abstand hätte aber großen Einfluss auf die Bildgestaltung. (mehr dazu weiter unten).

Die Angabe der Brennweite alleine bedeutet also nicht viel. Die Wahl des „richtigen“ Objektivs für Portraits hängt vielmehr stark von der verwendeten Kamera ab.
Erst wenn die Sensorgröße bekannt ist, sind mit der Brennweite die Schärfentiefe und der aufgezeichnete Bildwinkel festgelegt. Und dieser jeweils vom Sensor erfasste Bildwinkel hat indirekt, über den damit notwenigen / möglichen Aufnahmeabstand, starken Einfluß auf die Bildgestaltung.

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Abstand und Gestaltung

Illustration zu "Abstand und Brennweite"

Abstand und Brennweite

Der Aufnahmeabstand hat einen sehr großen Einfluss auf die Bildgestaltung und steuert speziell die räumliche Wirkung („Perspektive“).
Im oberen der beiden Bilder war ich mit dem Weitwinkel näher an den beiden Säulen im Vordergrund. Im Verhältnis bin ich dadurch vom Hintergrund weiter entfernt, dieser wird kleiner abgebildet.
Der Raum wirkt gedehnt, der Vordergrund ist aus diesem Abstand deutlich größer abgebildet als der Hintergrund.

Im unteren Bild habe ich eine längere Brennweite (präziser: einen kleineren Bildwinkel) eingesetzt.
Ich musste dann aber zu dem Motiv einen größeren Abstand einnehmen, um die Säulen im Vordergrund des Bildes in gleicher Größe wie bei der ersten Aufnahme zeigen zu können.
Jetzt wirkt der Hintergrund viel größer, der Abstand von Vorder- zu Hintergrund (und damit der Eindruck der Tiefe) ist scheinbar geschrumpft.

Die Größenverhältnisse im Bild und damit die räumliche Wirkung haben sich durch einen (wegen unterschiedlicher Brennweiten) geänderten Aufnahmeabstand massiv geändert. (Eine Erklärung dieses Phänomens folgt weiter unten.)

Übertragen auf ein Portrait sind die tatsächlichen Abstände zwar kleiner, die Auswirkungen aber trotzdem deutlich.
Von einem mit einem größeren Sensor noch komplett abgebildeten Kopf wird mit dem gleichen Objektiv (präziser: mit der gleichen Brennweite) auf dem kleineren Sensor nur ein Teil sichtbar.
Wir müssten also das Portrait-Opfer aus größerer Entfernung aufnehmen, um dessen Kopf wieder komplett im Bild zu haben.
Und das würde auch im Portrait die räumlichen Verhältnisse verändern. Nahe Teile des Gesichtes (die Nase) werden im Verhältnis zu entfernteren (den Ohren) kleiner wirken. (Eine Abbildung dazu folgt weiter unten.)

Welcher Ausschnitt soll fotografiert werden?

Um die passende Brennweite zu finden, müssten wir wissen, welcher Ausschnitt der Person und ihrer Umgebung überhaupt abgebildet werden soll. Und wir müssen vor allem auch wissen, wie die räumliche Wirkung sein soll.

Wie oben schon aufgeführt, welche Art von Portrait darf es denn sein?
Nur das Gesicht oder gar nur ein Teil des Gesichts? Oder der halbe oder der ganze Oberkörper?
Oder gleich ein Ganzkörperportrait?
Ein Gruppenportrait?

Um das ganze ein wenig zu vereinfachen, gehe ich im Folgenden von einem Porträt einer einzelnen Person aus. Und setze voraus, dass die gewünschten Ausschnitte des Bildes vom vollständig abgebildeten Kopf bis hin zum ganzen Oberköper reichen sollen.
Natürlich sind die Übergänge fliessend.
Und ich gehe auch davon aus, dass die volle zur Verfügung stehende Sensorfläche genutzt wird. Also keine „Digitalzooms“ oder Ausschnittvergrößerungen (oder Panoramatechniken) verwendet werden.

Welche räumliche Wirkung wird gewünscht?

Die nächste Überlegung dreht sich um die Darstellung der räumlichen Tiefe im Bild. Soll diese sichtbar betont werden, dass Gesicht mit großer Nase und kleinen Ohren in die Länge gezogen werden. (Bis hin zur Karikatur?)
Oder ist eine eher flächige Darstellung gewünscht, bei der die Nase im Verhältnis immer kleiner und das Gesicht immer flacher wird —bis hin zum „Pfannkuchengesicht“.

Für eine tiefe räumliche Wirkung müssten wir nahe an den Vordergrund herangehen. Bei einem Kopfportrait müssten wir also nah an die Nase heran. (Und damit dem Portraitierten „auf die Pelle rücken“, das hat natürlich auch Auswirkungen auf das „Gefühl“ des Portraitierten.)

Für eine flachere (nicht negativ gemeint) Wirkung müssen wir uns dagegen weiter von Ihm entfernen. [Und irgendwann reisst dann der (Blick-) Kontakt ab und aus der Kommunikation mit dem Portraitierten wird dessen Beobachtung.]

Was verändert sich durch den Abstand?

Der Abstand beeinflusst wie oben gesehen die relative Wiedergabe der Größenverhältnisse von Vorder- zu Hintergrund.
Wenn ich den Abstand zum Vordergrund verändere, dann verändere ich natürlich auch den Abstand zum Hintergrund. Doch im Verhältnis, prozentual gesehen, unterscheiden sich diese beiden Veränderungen deutlich.
Am einfachsten kann man den Zusammenhang an einem Beispiel sehen.

Angenommen, ich bin vom Hintergrund 100m entfernt und vom Vordergrund 10m. Wenn ich den Vordergrund doppelt so groß abbilden will, muss ich den Abstand halbieren und auf 5m heran gehen.
Der Abstand zum Vordergrund hat sich halbiert.

Vom Hintergrund bin ich dagegen immer noch 95m entfernt, die Veränderung des Abstandes zum Hintergrund und damit dessen Größenveränderung beträgt nur 5%.
Der Vordergrund wird also doppelt so groß, der Hintergrund verändert sich dagegen nur minimal.

Die Abstände zwischen Nase und Ohr sind nun nicht so groß wie in dem Beispiel, aber die Veränderung ist trotzdem, gerade bei kurzen Aufnahmeabständen,  deutlich wahrnehmbar. Erst recht im direkten Vergleich.

Die Auswirkungen auf das Porträt

Der beim Portrait gewünschte Bildausschnitt (Gesicht / Kopf / Oberkörper / ganze Person) hat zusammen mit der Brennweite — oder besser dem Bildwinkel, den das Objektiv auf dem Sensor abbildet — einen großen Einfluß auf den benötigten Aufnahmeabstand.

Ganz banal: für einen kleineren Ausschnitt muss man bei gleichem Blickwinkel näher heran, für eine Übersicht kann man sich weiter vom Motiv entfernen.

Wenn wir dagegen den gleichen Ausschnitt (z.B. den Kopf formatfüllend) fotografieren wollen um die Auswirkung unterschiedlicher Brennweiten (präziser: unterschiedlicher Blickwinkel) zu erkennen, müssen wir mit einem größeren Blickwinkel (Weitwinkel) näher ans Motiv heran

Der (geänderte) Abstand hat aber, wie oben zu sehen, eine große Auswirkung auf die Bildgestaltung.
Denn durch den Abstand verändert sich sehr stark die räumliche Wirkung in einem Foto. Und die Art der räumlichen Wiedergabe hat gerade auch auf ein Portrait großen Einfluss.

Illustartion zu: "Bildwinkel_und Portrait"

Bildwinkel und Portrait

Das linke Bild ist aus kurzem Abstand aufgenommen, das rechte aus größerem. Dadurch ergeben sich unterschiedliche Größenverhältnisse von näheren und entfernteren Motivdetails (Nase und Ohren).

Nase und Ohr und Vertrauen

Diese unterschiedlichen Größenverhältnisse haben sehr starken Einfluss auf die Wirkung der abgebildeten Person.

Große Nase und im Verhältnis kleine Ohren deuten auf einen kurzen Aufnahmeabstand hin. Dadurch fühlt sich der Betrachter beobachtet oder gar bedrängt, es ist eine unangenehme Nähe eines Fremden. Der Andere dringt in die eigenen persönlichen Bereiche — in die persönliche Sicherheitszone — ein.
Damit fühlt man sich dann natürlich unwohl.

Dieses unangeheme Gefühl wurde vor einiger Zeit auch  von Psychologen (vom „California Institute of Technology“ in Pasadena) empirisch untersucht. Falls Dich das interessiert, ist hier ein Link zu dem Thema.
Nahaufnahme des Gesichts macht misstrauisch. 

Die „richtige“ Brennweite

Wenn das Ziel ein harmonisch und unaufgeregt wirkendes Portrait ist, werden viele, vermutlich sogar die Mehrheit, eine Aufnahme aus einem „üblichen Gesprächsabstand“ (irgendwas von 80cm bis zwei Meter) bevorzugen.
Aus diesem Abstand nehmen wir wohl die Gesichter der meisten Menschen, mit denen wir uns intensiver Beschäftigen, wahr.

Um aus diesem Abstand einen Kopf (evtl. mit Teilen des Oberkörpers) in etwa formatfüllend abzubilden, benötigt man ein leichtes Teleobjektiv mit einem etwas engeren Ausschnitt. So um 25° Bildwinkel passen da recht gut.
Damit dieser Bildwinkel auf dem Kleinbildformat (24mm*36mm Sensorgröße) , heute etwas euphemistisch „Vollformat“ genannt, abgebildet wird, ist eine Brennweite von etwa 85mm passend.
Die Übergänge sind aber fliessend.
Mit 100mm an Vollformat geht man halt etwas weiter weg und staucht die Räumlichkeit ein wenig und mit 70mm geht man etwas näher heran und erhält ein plastischere Wiedergabe. Kann trotzdem gut passen.

An vielen DSLRs und spiegellosen Systemkameras( DSLMs) befindet sich ein etwas kleiner Sensor („APS-C Format„). Um damit aus der „Portrait-Distanz“ den gleichen Bildwinkel erfassen zu können, wird dann eine kürzere Brennweite nötig. Statt ca. 80mm kommen dann ca. 50mm zum Einsatz.

Und an den von mir gerne verwendeten MIcro-Four-Thirds-Kameras (mFT-Format)  wird durch den kleineren Sensor die nötige Brennweite noch etwas kürzer.
Da ist dann theoretisch ein 40er das „richtige“ Objektiv für Portraits.
Ich verwende dann z.B 45mm um in etwa den gleichen Abstand einnehmen zu können und so die gleiche Wirkung zu erzielen wie mit 85mm an meinen Vollformatkameras. Aber wie schon geschrieben, die Übergänge sind fliessend.

Mehr und zu kurz

Bisher ging es ja überwiegend um Portraits, bei denen der Kopf bis hin zum ganzen Oberkörper aus „Gesprächsabstand“ fotografiert wird.
Bei Ganzkörperportraits oder Gruppenaufnahmen nimmt man dagegen üblicherweise größere Abstände ein, um eine in der Größenproportionen „harmonische“ Wirkung zu erzielen.

Leider kann man gerade in engen Innenräumen nicht immer auf den Wunschabstand gehen und die dann passende Brennweite verwenden. Wenn man in einem solchen Fall näher heran gehen muss, ergeben sich daraus gleich zwei gestalterische Herausforderungen.

Dicke Knie

Zum einen ist die aus dem kürzeren Abstand resultierende Veränderung der Größenverhältnisse von Vorder- zu Hintergrund meist unerwünscht. Gerade bei Ganzkörperaufnahmen von sitzenden Personen muss man dann aufpassen.

Aus der kurzen Distanz wirken auch innerhalb der Grenzen der Person die Größenverhältnisse „ungewöhnlich“. So wie beim Portrait die Nase sehr groß abgebildet wird,  werden natürlich auch andere Körperteile, die näher an der Kamera sind, auf dem Bild sehr groß erscheinen.  Bei sitzenden Personen sind dann oft sehr massiv wirkende Knie und stämmige Oberschenkel die Folge.

Generell gilt, je kleiner der Aufnahmeabstand (und dadurch: je kürzer die verwendete Brennweite) desto größer ist die Gefahr dieser „ungewöhnlichen“ Darstellung.

Um das ein wenig zu mildern, kann man versuchen, die Tiefenausdehnung der Person zu verkleinern. Das geht zum Beispiel durch leicht seitliches Sitzen. Oberschenkel und Knie zeigen dann nicht mehr direkt zur Kamera sondern zielen mehr oder weniger stark schräg an der Kamera vorbei.

… und kleine Füße

Bei kürzeren Aufnahmeentfernung stellt die perspektivische Verjüngung der abgebildeten Person(en) ein weiteres Problem dar.

Häufig behält der Fotograf bei solchen Aufnahmen mit der Kamera seine Augenhöhe bei.
Aus relativ kurzer Aufnahmedistanz braucht man dann ein Weitwinkel und die Kamera muss, um den ganzen Körper einschliesslich der Füße ins Bild zu bekommen und nicht zu viel leere Bildfläche über dem Kopf zu zeigen, etwas nach unten geneigt werden.

Der Kopf des zu Portraitierenden ist dann vielleicht nur noch einen Meter vom Objektiv entfernt, der Abstand zu den Füßen beträgt aber je nach Größe des Fotografen und/oder  der zu portraitierenden Person das Anderthalbfache oder gar das Doppelte.
Entsprechend kleiner werden die Füße im Verhältnis zum Kopf abgebildet. (Das ist im Prinzip die gleiche Auswirkung wie bei den stürzenden Linien in der Architekturfotografie. Nur in die andere Richtung, quasi „negativ-stürzende“ Linien.)

Großer Kopf und kleine Füße, das sieht in den Umrißen wie ein auf der Spitze stehendes Dreieck aus und vermittelt eher Instabilität. Es ist die typische Sicht auf Kinder, wenn man sie aus „Erwachsenenhöhe“ ansieht.
Nur in seltenen Fällen ist dieser Endruck für Personenaufnahmen erwünscht oder gar vorteilhaft.

Die eigentlich einfache Lösung besteht dann in einer niedrigeren Aufnahmehöhe.
Nicht unbedingt aus Bauchnabelhöhe,  aber evtl. auf Kinn- oder Brusthöhe des Portraitierten.
Vorsicht bei Personen mit großen Nasenlöcher, in einem solchen Fall muss man erst recht eine Kompromisshöhe finden. ;-)
Oder, viel besser, sich nach einem weiter entfernten Aufnahmestandort umschauen.

Das richtige Objektiv für Portraits – Fazit

Nimm für ein übliches Portrait (Kopf/Oberkörper) ein leichtes Teleobjektiv mit ca. 25° Bildwinkel. An Kleinbild („Vollformat“) wären das etwa 80mm, an mFT etwa 40mm)
An APS-C Kameras (egal ob DSLRs oder DSLMs) wären es ca. 50mm. Das könnte also auch das Kit-Objektiv mit 18-55mm sein. Von der Brennweite her passen dann die 55mm.

Allerdings wird damit für eine stärkere Isolation des Motivs vom Hintergrund die Lichtstärke an APS-C etwas knapp. Diese Kit-Zooms sind halt oft nicht sehr lichtstark, Blende 5.6  ist da zumeist die größte Blendenöffnung bei einem Zoom auf 55mm.

Das ergibt aus dem Gesprächsabstand dann noch keine richtig starke Unschärfe im Hintergrund. (Generell: je weiter der Hintergrund entfernt ist, desto unschärfer wird er. Mit einer geschickten Platzierung der Person — nicht direkt vor dem Hintergrund sondern etliche Meter entfernt — kann man die Unschärfe ein wenig forcieren.)

Eine Alternative wäre eines der preiswerteren „50mm 1.8“ (*), das viele Hersteller für unter 250,00 Euro, manchmal sogar unter 100,00 Euro im Angebot haben bzw. für DSLRs hatten.
Für die spiegellosen Systemkameras kosten Objektive mit diesen Werten oft dramatisch mehr. Aber mit den meist erhältlichen Adaptern kann man auch die alten 50/1.8er adaptieren. Und diese kann man gebraucht womöglich noch preiswerter erhalten.
Siehe auch: Warum wird so oft ein 50mm-Objektiv empfohlen?
Aber zu Anfang kannst Du das Porträtieren erstmal gut mit dem Kit-Objektiv ausprobiere. Und wenn Du einen unschärferen Hintergrund wünschst, kannst Du das mit etwas mehr Abstand der Person vom Hintergrund ausprobieren.

Hast Du andere Empfehlungen? Andere Erfahrungen gemacht? Dann melde Dich ruhig in den Kommentaren weiter unten.

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11 thoughts on “Das richtige Objektiv für Porträts (und der richtige Abstand)

  1. Ina

    Danke für die ausführliche Beschreibung … ich muss mir das wirklich ein paar Mal durchlesen … allerdings, was ich nicht ganz verstehe, ist die Sache mit dem APS-C Sensor und 50mm Objektiv und 25° Bildwinkel, wie oben beschrieben, für ein ausgewogenes Portrait.

    Ich habe an meiner APS-C Kamera (Canon 760D) ein 50mm/1.4 Objektiv von Canon mit einem Bildwinkel von 46° (https://www.canon.de/lenses/ef-50mm-f-1-4-usm-lens/) – wie kommt dann wie im Text beschrieben ein Bildwinkel von 25° bei einem 50mm Objektiv an APS-C zustande?

    Antworten
    1. Tom! Beitragsautor

      Danke für Deinen Kommentar. Und das ist tatsächlich immer wieder verwirrend.
      Ich versuch das mal aufzudröseln.
      Es ist ein EF-Objektiv von Canon, also auch für Vollformatkameras geeignet.
      Der Bildkreis ist also so groß, dass er einen Vollformatsensor „beleuchtet“. Durch die Brennweite von 50mm kann der Vollformatsensor in dem Bildkreis einen Bidwinkel von 46° aufzeichnen.
      Der Sensor Deiner Kamera ist dagegen kleiner und „nur“ so groß wie früher ein APS-C-Negativ. Also um ungefähr den Faktor 1,6 kleiner als der Vollformatsensor.

      Dem Objektiv ist es nun völlig egal, welchen Sensor es „beleuchtet“, sein Bildkreis ändert sich dadurch nicht.

      Aber der kleinere Sensor sieht von dem Bildkreis nur einen kleineren Ausschnitt und damit zeichnet er nur ein kleineren Ausschnitt, einen kleineren Bildwinkel auf.

      Der kleinere Sensor rechts sieht nur einen kleineren Ausschnitt des Bildkreises

      Ich hoffe, ich habe das verständlich erklärt. Sonst frag…

      Tom!

      Antworten
  2. Philipp

    Hallo Tom
    Danke für die ausführlichen und sehr gut verständlichen Infos. Ich bin ein regelmässiger Leser deines Blogs und des Online-Kurses. Spitzen Sache!
    Eine Frage noch in diesem Zusammenhang: Wie sieht es technisch aus mit Makro-Objektiven? Was ist da anders bei gleicher Brennweite? Eignen sich die auch für Portraits oder für Reisefotografie?
    Herzliche Grüsse aus der Schweiz
    Philipp

    Antworten
    1. Tom! Beitragsautor

      Hallo Phillip,
      danke für das positive Feedback.

      Der Begriff Makro ist leider nicht weiter festgelegt. Manche Leute verstehen darunter nur, dass man etwas näher heran kann. Also dass ein Objektiv eine kurze Naheinstellgrenze hat.

      Fotografen die sich etwas intensiver mit dem Thema beschäftigen definieren das meistens etwas anders. In Ihren Augen kann ein kurzer Aufnahmeabstand sogar von Schaden sein.(Wegen der möglichen Abschattung des Motivs durch das Objektiv und der Fluchtdistanz mancher kleinen Tiere.
      Diese Fotografen sehen für Makro eine möglichst große Abbildung als ausschlaggebend an. Also zum Beispiel eine Abbildung in 1:1, d.h. dass ein Zentimeter im Original in einem Zentimeter Größe auf dem Sensor abgebildet wird.

      Und so gibt es ganz unterschiedliche Objektive, von denen die Hersteller alle behaupten, dass sie für Makro geeignet sein. Manche sind „echte“ Makroobjektive, andere haben nur eine Makrofunktion am Zoomring, die eine kürzere Aufnahmeentfernung ermöglichen.

      Unter den echten o, die Maßstäbe von 1:1 und mehr ermöglichen gibt es sehr gute Modelle, die sich auch hervorragend für Portraits eignen.
      Da der „Schneckengang“ zum Fokussieren auf die Nähe länger sein muss, benötigen diese Objektive aber mehr Zeit für den Autofokus.
      Und auch Landschaften kann man damit gut abbilden, aber die Objektive sind meist länger als die Normalbrennweite des jeweiligen Sensorformates, sie sind also eher für Landschaftsdetails geeignet.

      Soweit das Grundlegende zum Thema…

      Tom!

      Antworten
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  7. Sebastian

    Hallo Tom,
    auch von mir herzlichen Dank für den informativen Artikel :-)

    Was mich an der ganzen Sache mit den unterschiedlichen Bildausschnitten zwischen Vollformat und APS-C Sensoren noch verwirrt ist folgendes:

    Verstanden habe ich, dass ich bei einem Objektiv, dass für Vollformat geeignet ist und bei einer APS-C Kamera verwende im Prinzip nicht die Brennweite habe, die auf dem Objektiv steht:
    So wird aus einem 50mm ein 75mm (bei Crop-Faktor 1,5). Um den gleichen Bildausschnitt für eine Vollformat-Kamera zu bekommen bräuchte ich als statt dem 50mm ein 75mm, oder?

    Wie is es jetzt aber mit Objektiven, die extra für APS-C gemacht sind und somit nicht, bzw. nur mit Einschränkungen an einer Vollformat-Kamera zu verwenden sind.
    Entspricht hier ein 50mm Objektiv auch wirklich dem Bildausschnitt von 50mm oder muss ich auch hier umrechnen?
    Oder anders gefragt: Habe ich mit einem 50mm APS-C Objektiv an einer APS-C Kamera den gleichen Bildausschnitt wie mit einem 50mm Vollformat Objektiv an einer Vollformat Kamera? Oder gilt auch hier 50mm APS-C Objektiv an APS-C Kamera ist 75mm Objektiv an Vollformat Kamera?

    Bezogen auf deinen Artikel:
    Wenn für Portrait-Aufnahmen ein 80mm Objektiv als ideal gilt (Vollformat-Objektiv auf Vollformat Kamera), wie muss ich mich beim Kauf eines entsprechenden Objektives für APS-C Kameras verhalten?
    Objektiv für Vollformat:
    50mm, weil 50mm Vollformat = 75mm APS-C
    Objektiv nur für APS-C:
    50mm, weil ich auch hier umrechnen muss, oder
    80mm, weil man bei Objektiven speziell für APS-C nicht umrechnen muss?

    Ich hoffe ich konnte mich einigermaßen verständlich ausdrücken und Du verstehst was ich meine ;-)

    schöne Grüße
    Sebastian

    Antworten
  8. Tom! Beitragsautor

    Hallo Sebastian,
    das Objektiv hat immer dieselbe Brennweite, denn diese ist ein bestimmendes Element des Objektivs, genauso wie der vom Objektiv beleuchtete Bildkreis.
    Die Kamera bzw. der verwendete Sensor ist dem Objektiv dabei völlig egal. Ja, es hat seine Brennweite und den Bildkreis sogar dann, wenn hinten gar keine Kamera dran ist.

    Der Sensor der Kamera sollte tunlichst nicht größer sein als der (gute Teil des) Bildkreis(es). Sonst gibt es dunkle und/oder unscharfe Bildecken.

    Kleiner darf er natürlich sein, aber dann sieht er nur einen Teil des Bilds, das ein größerer Sensor sehen könnte. Der kleine Sensor sieht nur einen Teil des Bildwinkels, den der größerer Sensor in der Situation sehen könnte.
    Der kleinere Sensor rechts sieht nur einen kleineren Ausschnitt des Bildkreises
    Wenn ich an der Kamera mit dem kleineren Sensor den gleichen (größeren) Bildwinkel wie an der mit dem großen Sensor sehen will, muss ich Objektiv mit kürzerer Brennweite verwenden.

    ——-

    Wenn jetzt ein Objektiv speziell für ein kleineres Sensorformat gebaut wird, hat es weiterhin die gleiche Brennweite. Aber der nutzbare Teil des Bildkreises wird kleiner, so dass an einer Kamera mit größerem Sensor nicht mehr sinnvoll eingesetzt werden kann, Dort würden die Bildecken dunkler und/oder unscharf.
    Durch den kleineren Bildkreis lässt sich aber das Objektiv preiswerter konstruieren.

    ——–

    Zusammengefasst:
    – die Brennweite des Objektivs ändert sich durch einen anderen Sensor der Kamera nicht
    – der kleinere Sensor erfasst nur einen kleineren Ausschnitt
    – um den gleichen Ausschnitt wie an der Kamera mit dem größeren Sesnor zu erkennen, muss man einen
    ———
    Vielleicht hilft der Vergleich:
    Der Motor des Autos hat nicht weniger PS, wenn ich mit angezogener Handbremse fahre. Wenn ich mit angezogener Handbremse fahre brauche ich einen Motor mit mehr PS um die gleiche Endgeschwindigkeit zu erreichen. ;-)

    ————
    Falls Dir das immer noch unklar ist, komm doch einfach in meine kostenlose Fotosprechstunde.
    http://www.fotosprechstunde.de

    Möge das Licht mit Dir sein,
    Tom!

    Antworten

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