Wo ist die Schärfentiefe hin?
Ein Thema mit Technikalarm! (Aber am Ende geht es dann doch um Gestaltungsmöglichkeiten.)
Vor einiger Zeit fiel mir auf, dass die Skalen zum Ablesen der Schärfentiefe an einigen Kameras bzw. Objektiven ungewöhnliche Werte anzeigten, die sich nicht mit meinen Erfahrungen bzw. den Werten anderer Skalen und Tabellen deckten.
Was war passiert? Meine Neugier war geweckt, ich wollte dem auf den Grund gehen.
Aber der Reihe nach. Am liebsten fotografiere ich ja im Bereich leichter Weitwinkel – also nutze ich 35mm an Vollformat, 23mm an APS-C oder (weil klein und leicht und gut) 17mm an meiner Olympus E-M1(*).
In diesem Brennweitenbereich mit etwa 50°-60° Bildwinkel fotografiere ich in Bezug auf die Schärfentiefe meist eher nach Gefühl. Mein 17mm Olympus hätte zwar im Prinzip eine Schärfentiefenskala, aber ich benutze überwiegend den „manuellen Autofokus“ (Backbuttonfokus), und im Autofokusmodus ist diese Schärfentiefeskala nicht sichtbar. Auch deshalb beachte ich sie normalerweise gar nicht.
Aber vor einigen Tagen habe ich mit dem Objektiv etwas herumgespielt und da fiel mir an dieser Anzeige etwas ungewöhnliches auf.
Die an der Skala angezeigten Bereiche der Schärfentiefe sind viel kleiner als ich das in Erinnerung habe (und passen auch nicht zu meinen Praxiserfahrungen).
Beispiel
Bei Einstellung auf 3m Abstand und Blende 22 (würde ich wegen der Beugungsunschärfe ja  eigentlich nicht nehmen, ist aber in diesem Beispiel am besten abzulesen) reicht die Schärfentiefe dann angeblich nur von 1.5m (5 feet) bis unendlich. Das kommt mir sehr gering vor.
Um das zu überprüfen, habe ich mein altes 35mm 2.0 Canon herausgeholt. Das ist ein Objektiv mit dem gleichen Bildwinkel (siehe Cropfaktor) an Vollformat. Bei einem größeren Sensor sollte bei gleicher Entfernung, gleicher Blende und gleichem Bildwinkel der Schärfentiefebereich eigentlich kleiner sein. Tatsächlich war der am Canon 35er angezeigte Bereich aber sogar größer, er ging von 1,2m bis „hinter unendlich“.
Warum? Was war hier los?
Verdacht
Etwas ähnliches habe ich vor einigen  Jahren schon einmal bemerkt. Meine „Beinahe-Lieblingskamera„, die Fuji X100, konnte die eingestellte Entfernung und die sich ergebende Schärfentiefe auf dem Display (und im elektronischen Sucher) anzeigen. (Warum die meisten Canons, Nikons, etc. das nicht können, ist mir schleierhaft. Ist doch nur ein bisschen Mathe, dass sollten doch auch die Ingenieure und Entwickler bei diesen Firmen beherrschen. ;-) )
Die Schärfentiefeanzeige der Fuji deckte sich frisch nach dem Kauf mit meinen Erwartungen und  Erfahrungen. Doch nach einem Firmware-Update, dass einige interessante neue Funktionen mit sich brachte, war die angezeigte Schärfentiefe viel kleiner.
Wohlmöglich hängen beide Beobachtungen ja miteinander zusammen.
Doch warum sollte die Schärfentiefeanzeige so stark abweichen bzw. sich auf einmal ändern?Was ist die Ursache?
Mein Verdacht richtet sich auf die 100%-Option bei Absicht der Bilder am Rechner.
Schärfentiefe
Um die Ursache herauszufinden, müssen wir uns zuerst mit dem grundlegenden Konzept der „Schärfentiefe“ beschäftigen.
Schon der Begriff lenkt die Aufmerksamkeit ja etwas in die falsche Richtung, eigentlich geht es dabei ja gar nicht so sehr um Schärfe als vielmehr um (möglichst kleine und somit nicht wahrnehmbare) Unschärfe. Das Konzept der Schärfentiefe basiert auf der Überlegung, dass eine Unschärfe so gering sein kann, dass man sie nicht bemerkt.
Natürlich spielt in diesem Zusammenhang der Abstand eine Rolle, aus dem man das Bild betrachtet. Dieser Abstand kann ja prinzipiell beliebig groß oder klein sein, so dass man die Schärfentiefe eigentlich nicht allgemeingültig berechnen kann.
Aber man kann mit etwas Ãœberlegung durchaus eine Art „Idealabstand“ annehmen. Denn wenn man sich für ein Bild interessiert, wird man möglichst nah herangehen. Aber man wird andererseits soweit weg bleiben, dass man das Bild noch als Ganzes sieht. Denn nur, wenn man das Bild noch als Einheit überblickt, kann man die verschiedenen Gestaltungselemente (z.B. Linien und Formen), die innerhalb des Bildes zusammenwirken, noch erkennen. Diesen Abstand wird man also zuerst mal nicht unterschreiten.
Damit ergibt sich ein Art idealer Betrachtungsabstand. Der entspricht in etwa der Diagonale des Bildes. Wäre man weiter entfernt, würden Bilddetails verloren gehen, wäre man näher dran, könnte man bestimmte Gestaltungsaspekte nicht mehr wahrnehmen.
Einen ersten wichtigen Punkt für die Berechnung der Schärfentiefe können wir damit also festlegen.
Augenauflösung
Um zwei Details in einem Bild voneinander unterscheiden zu können, müssen sie einen bestimmten Mindestabstand haben. Dieser ist natürlich auch von der Sehkraft des Betrachters abhängig, aber selbst ein wirklich gut sehender Mensch benötigt einen gewissen Mindestabstand zwischen zwei Punkten, um sie als einzelne Punkte wahrnehmen zu können. Ein Unschärfe, die kleiner ist, kann auch jemand mit Adleraugen nicht als Unschärfe erkennen.
Unschärfe bedeutet, dass ein winzig kleiner Punkt nicht mehr als Punkt, sondern als Fläche (Kreis) wiedergeben wird. Und die Fläche wächst mit der Unschärfe. Doch solange die Unschärfe nicht zu groß wird, kann man sie nicht erkennen, das Bild wirkt noch scharf.
Wenn man jetzt die Sehschärfe eines Menschen mit guten Augen zugrunde legt und den Abstand in Relation zur Bildgröße kennt, kann man berechnen, wie groß ein Unschärfekreis (Zerstreuungskreis) auf dem Sensor werden darf, damit er später im vergrößerten Bild dem Betrachter doch noch als scharfer Punkt erscheint.
Das Bild kleinerer Sensoren wird stärker vergrößert, der Zerstreuungskreis muss hier also kleiner sein. Bilder von größeren Sensoren dürfen dagegen auch größere Zerstreuungskreise aufweisen.
Durch den (in Bezug auf die Bildgröße) relativen Betrachtungsabstand kann man den Zerstreuungskreis festlegen. Und dieser bildet die Basis der Berechnung der Schärfentiefe und mit etwas Mathematik kann man nun ihren Nah- und den Fernpunkt errechnen. Alles was vor dem Nah- oder hinter dem Fernpunkt liegt, wird dem Betrachter immer unschärfer erscheinen, je weiter es entfernt ist. Was dagegen zwischen Nah- und Fernpunkt liegt, ist so schwach unscharf, dass der Betrachter es als scharf ansieht.
Für diese Art der Schärfentiefeberechnung haben sich über viele Jahre bestimmte Zerstreuungskreisgrößen als (zumindest oft) sinnvoll herausgestellt.