Architekturfotografie muss nicht teuer sein (3)
Noch ein weiteres Zitat aus dem dpa Text aus der Lokalpresse, der dieser kleinen Reihe zugrunde liegt:
„Wer die Architektur möglichst korrekt abbilden will, muss Geld in die Hand nehmen. Objektive ohne optische Fehler sind teuer, genauso wie Tilt-Shift-Objektive“.
Es stimmt (zumindest zum Teil), richtig gute Objektive sind richtig teuer. Und für den Profi sind sie auch wichtig, er erspart sich so Nacharbeit.
Aber braucht der typische Leser der Tageszeitung so etwas? Der wird doch eher ein Amateurfotograf sein, der nur gelegentlich mal eine Stadtansicht oder ein schönes Gebäude fotografieren will.
Früher waren dann, je nach Objektiv, manchmal Fehler im Bild zu sehen. Oft wurden gerade Linien nicht gerade, sondern gebogen wiedergegeben. Entweder waren sie nach innen gebogen, (kissenförmige Verzeichnung), oder nach außen (tonnenförmige Verzeichnung).
Objektive mit solchen Fehlern waren für die Architekturfotografie natürlich eher ungeeignet. Und Objektive ohne diese Fehler waren aufwendiger in der Konstruktion und damit meist deutlich teurer (und größer und schwerer).
In der digitalen Fotowelt lassen sich diese Fehler schon seit vielen Jahren sehr einfach nachträglich beheben, bei vielen preiswerten Kameras passiert das anscheinend schon direkt in der Kamera.
Und die Schritte zur nachträglichen Korrektur sind in vielen Bildbearbeitungsprogrammen heutzutage wirklich sehr einfach und zum Teil vollautomatisch möglich, so dass man für das gelegentliche Architekturfoto durchaus auch nicht ganz fehlerfreie Objektive nutzen kann.
Braucht man Tilt-Shift-Objektive?
Ich werde jetzt nur auf den „Shift“-Teil der Objektive eingehen, weil der der für die Aufnahme von Gebäuden der wichtigere Teil ist.
Braucht man für die Architekturfotografie tatsächlich solche besonderen Objektive? Den Eindruck kann man schnell bekommen, wenn man sich ansieht, mit was für einem Aufwand solche Bilder oft gemacht werden. Spezielle Kameras mit vielen Gelenken und Feintrieben erlauben dazu unabhängige Verstellungen der einzelnen Kamerabestandteile.
Aber wofür ist das überhaupt nötig?
Der Grund liegt schlussendlich darin, das die Kamera die Welt vor dem Objektiv physikalisch richtig ablichtet, wir Menschen dagegen Dinge nicht sehen (wie es eine Kamera tut), sondern unsere Umgebung visuell wahrnehmen.
So ist es für uns selbstverständlich, dass schräg betrachtete parallele Linien sich zum Fluchtpunkt („Unendlichkeit“) hin verjüngen, so wie die Eisenbahnschienen, die sich zum Horizont hin immer näher kommen.
Bei den senkrechten Linien eines Gebäudes dagegen scheinen wir das nicht so wahrzunehmen. Bei einer Zeichnung eines Hochhauses am Bahnhof würden die meisten zwar die Schienen verjüngend darstellen, die Winkel im Gebäude würden dagegen mit 90° und die senkrechten Linien parallel zueinander dargestellt.
Auf einem Foto dagegen würden sich die Linien auch bei nur schwach geneigter Kamera verjüngen. Das wirkt manchmal auf denBetrachter, als würde das Gebäude jeden Moment wie ein Kartenhaus einstürzen.
Gegen diesen Einruck helfen besondere Aufnahmetechniken, bei denen die Filmebene und die Objektivebene der Kombination aus Kamera und Objektiv zueinander verschoben (geshiftet) werden. Damit kann man weiterhin mit auf den Horizont ausgerichteter Kamera (und so ohne stürzende Linien) fotografieren und trotzdem, dank des sehr großen Bildkreises spezieller Objektive, einen den Blick schräg nach oben darstellenden Ausschnitt fotografieren.
Wirklich nötig?
Doch ist das wirklich nötig?
Schon zu analoger Zeit gab es spezielle Dunkelkammertechniken, mit denen man Bilder auch nachträglich „entzerren“ konnte.
Und heute geht das in der digitalen Bearbeitung ebenfalls, aber viel einfacher und zum Teil vollautomatisch.
In den aktuellen Versionen von Lightroom(*) geht das z.B ganz problemlos und oft auch ganz automatisch mit der „Objektivkorrektur“ (bzw. ganz aktuell geändert mit dem „Transformieren“-Bereich).
Das erledigt den Job sehr gut und selbstverständlich bieten andere Programme ähnliche Funktionen an.
Immer wieder lese ich in dem Zusammenhang speziell in Fotoforen das Ammenmärchen, das durch das Entzerren per Software die Proportionen der Gebäude verfälscht würden. Das ist tatsächlich der Fall, wenn Dilettanten das machen. Wenn man aber weiß, was man tut und/oder die passende Software verwendet, ist das nicht der Fall, das Entzerren geht dann (vollautomatisch) ohne ein Verfälschen der Proportionen.
Ein anderes Argument, das gegen das Entzerren per Software gerne vorgebracht wird, bezieht sich auf den durch das Entzerren in der Software tatsächlich auftretenden Auflösungsverlust. Aber bei den heute üblichen Megapixelzahlen der Kameras ist das kaum relevant.
Und wenn man dann noch berücksichtigt, das man das Endbild des statischen Motivs „Gebäude“ durchaus auch aus einem Raster von einzelnen Teilbildern per Panoramasoftware zusammensetzen kann, wird klar, dass man so Details sichtbar machen kann, die auch einer guten 4/5 Fachkamera mit hervorragendem Objektiv verborgen bleiben würden.
Der Punkt für die Auflösung geht so eher nicht an die „Shift-Fraktion“.
Quintessenz
Viel wichtiger als spezielle Objektive ist in der Architekturfotografie (und natürlich nicht nur dort) die Gestaltung der Bilder. Und da ist dann auch bei den eigentlich eher ruhigen Gebäuden Engagement und Zeit gefragt.
Um das Gebäude gehen, mehrfach wiederkommen, Licht „lesen“ lernen, Erfahrungen sammeln.
Das dauert, macht aber auch viel Spaß. (Und ist ein Thema in meinem Grundlagenkurs zur Bildgestaltung).
Zurück zum Auslöser dieser kleinen Reihe.
Ich verstehe manchmal nicht, was Zeitungen treibt, einen solchen halbgaren Unsinn nur zum Füllen der Seiten zu drucken. Und warum dpa, die für viele Zeitungen Vorlagen liefert, da nicht etwas besser recherchiert. Wenn ich mir überlege, was für einen Unsinn ich so täglich lese (und mangels besserem Wissens glaube), weil ein Redakteur einen Text aus seinem „Nichtfachgebiet“ schreibt, wird mir ganz schwummrig.
Auf diese Art werden die Leser jedenfalls eher vom Fotografieren abgeschreckt.
An der Stelle darf ich vielleicht noch ein bisschen Eigenwerbung machen:
Aufnahmetipps und Gestaltungshinweise zu Themen wie Stadtansichten und Architekturfotos sind ein wichtiger Teil meiner Fotokurse zu den Grundlagen der Fotografie, die ich an der Fotoschule-Ruhr.de anbiete.
Noch mehr Berichte und Tipps und Hinweise zur Architekturfotografie in meinem Blog
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Und wenn Du meinst, ich hätte das nicht verdient, dann lässt Du es eben. ;-)