Relonch – Die Kamera als moderne Öllampe

Ilustration zur Kamera Relonch

Die Relonch, keine Knöpfe, keine Rädchen und ein ungewöhnliches Finish. Ob ich sie schön finde? Ich bin mir nicht sicher. ;-)

Neulich bin ich online über die „Relonch“ gestolpert. Das ist eine Kamera, die nicht nur irgendwie anders aussieht, sondern hinter der ein ganz anderes Geschäftsmodell als üblich steckt.
Die Relonch wird (zumindest zur Zeit) nicht klassisch gekauft, sondern quasi eingetauscht und dann in ganz kleinen Raten von je einem Dollar finanziert.
Dieser Dollar wird immer dann fällig, wenn man ein „gelungenes“ Bild macht, das man behalten möchte.
Und das ist nun wirklich neu, denn normalerweise kauft man ja zuerst eine Kamera. (Und kann da wirklich viel Geld ausgeben.) Und dann macht man irgendwie und oft mehr schlecht als recht auch Fotos.
Aber eigentlich sind die Bedürfnisse vieler Kamerakäufer ganz anders, sie wollen oft eigentlich gar kein „Kamerabesitzer“ werden, sondern einfach nur „gute“  oder sogar „bessere“ Fotos erhalten.
Und an diesem Punkt setzt das Geschäftsmodell von relonch an.
Denn leider reicht es in den meisten Fällen eben nicht, Kamerabesitzer zu werden. Wenn man gute Fotos erhalten möchte, kommt noch mehr dazu.

Schalter und Knöpfe

Die Kameras haben oft eine große Menge an Knöpfen und Schaltern. Da kann man alles mögliche einstellen. Blende, Autofokus, Belichtungszeit, Messmethode, Bildfolge, etc. pp. Da soll man dann die passende Empfindlichkeit wählen. Nur wie? Und dass der Weißabgleich nicht zur Beeinflussung der Helligkeit des Bildes da ist, macht die Sache auch nicht einfacher.

Okay, dann lieber die Automatik. Aber manche Kameras haben sogar so viele verschiedene Automatikprogramme, dass man sich dann überhaupt nicht mehr entscheiden kann. Passt nun für dieses Motiv die „intelligente Automatik“ besser oder wählt man doch besser die „überlegene Automatik“.

Die zwei Prozesse

Der Aufnahmeteil der Digitalkameras erzeugt bei der Belichtung (egal ob automatisch oder manuell gesteuert) als erstes Ergebnis Messwerte für die Helligkeiten aller Motivdetails. Jeder Pixel des Sensors misst dabei die Helligkeit eines winzigen Teil des Motivs. Das Motiv wird bei einer 24MP-Kamera in 24 Millionen Werte für 24 Millionen Messpunkte zerlegt.
Diese Werte sind das eigentliche Ergebnis der Belichtung (und die letzte Verbindung zur sogenannten Realität vor dem Objektiv).
Aber wer will sich schon einen solchen Zahlenwust an die Wand hängen? Diese Zahlen müssen deshalb nach der Belichtung erst noch umgewandelt (interpretiert) werden, damit ein Bild entsteht.

Das kann bei allen Digitalkameras die zweite wichtige Baugruppe der Kamera erledigen. Dafür ist der kleine eingebaute Computer zuständig. Er erzeugt die JPEGs aus den bei der Aufnahme gespeicherten Messwerten jedes einzelnen Pixels des Aufnahmesensors, also aus den RAW-Dateien.

Es sind also Aufnahme und Interpretation gemeinsam verantwortlich für das spätere Foto. Das ist zwar vielen Fotoeinsteigern nicht geläufig, aber es gibt eben nicht so etwas wie das wahre, ehrliche, direkte Digitalfoto, auch nicht direkt aus der Kamera.
Digitale Belichtungen müssen immer erst interpretiert werden, entweder direkt bei der Aufnahme automatisch vom Computerteil der Kamera oder später, natürlich am besten sinnvoll gesteuert, vom Fotografen.

Genau da setzt die Relonch an. Bei ihr findet diese Umwandlung nicht in der Kamera statt, sondern wird auf den Servern des Herstellers ausgeführt. Dort steht mehr und bessere Rechenleistung zur Verfügung.

Was zeichnet die Relonch aus

Diese Kamera definiert sich zuallererst über all das, was sie nicht hat. Es gibt
kein Display,
keine Einstellmöglichkeiten,
keinen Zoom,
keinen Blitz und auch
keine Speicherkarte.

Eigentlich ist es nur ein „stylish“ verpacktes Kameragehäuse mit Auslöser und Internetverbindung.
Es ist quasi die Kamera der vielen „fehlenden“ Features.

Wie funktioniert das, so „ohne alles“?

Die Relonch… und hinten auch kein Display

Der Auslöser der Relonch macht, was er soll, er sorgt für die Belichtung.
Das von der Kamera auf der Basis der gemessen Helligkeiten pro Bildpixel errechnete Bildergebnis ist dann auf Wunsch für einige wenige Sekunden im Sucher sichtbar, wird aber anders als bei den üblichen Kameras anscheinend nicht gespeichert. Und kann so auch nicht erneut angesehen werden.
Danach wandern die aufgezeichneten Daten, quasi die RAW-Datei, auf den internen Speicher, der das Bild dann per LTE oder WLAN zu den Relonch-Servern überträgt. (Alle dafür nötigen Konfigurationsschritte fürs Netzwerk geschehen über die Relonch-App, die das Smartphone dafür mit der Kamera verknüpft. Und wenn keine Internetverbindung besteht, kann der Speicher der Kamera die Daten von bis  zu  4000 Belichtungen puffern.)

Man kann also bei der Aufnahme (mit Ausnahme von FTR – focus, than recompose) nicht allzuviel beeinflussen. Es gibt noch nicht einmal eine Belichtungskorrekturtaste. Was aber bei einem einigermassen guten Sensor und nicht ganz so komplizierten Bildern gar nicht weiter schlimm ist.
Viele digitale Fotos kranken nicht so sehr an technischen Fehlern bei der Aufnahme als vielmehr an einer miesen Ausarbeitung (und natürlich ganz vorneweg schon an schlechter Gestaltung).
Und da will die Relonch Massstäbe setzen.

Serverzauber

Wenn die Bilder auf den Servern sind, geschieht die „Magie“, dann werden die RAW Daten der guten Bilder anscheinend per AI (künstlicher Intelligenz) ausgearbeitet. Was dabei genau passiert bleibt abzuwarten. Wenn es etwas taugt, so würde ich mich freuen, die Algorithmen auch in Lightroom nutzen zu können. ;-)
Am nächsten Morgen jedenfalls findet man die aus den RAWs erzeugten Bilder in der Relonch-App des Smartphones.
Wenn man sie behalten und außerhalb der App nutzen möchte, muss man dann je Bild einen Dollar bezahlen. Die ungewünschten Bilder muss man nicht abnehmen, kann sie aber auch nicht nutzen.

[Edit: meine hier ursprünglich geäußerte Vermutung, dass die Bearbeitung evtl. auch einfach nur nach Indien ausgelagert wird, scheint nicht zuzutreffen.]

Versteckter Vorteil?

Das fehlende Display kann tatsächlich ein Grund für einen qualitativen Vorteil der Relonch sein.
Bei den heute üblichen Kameras findet die Ausarbeitung nach „Schema F“ in der Kamera statt und das Ergebnis wird auf dem Display angezeigt. Und dort muss es dann zumindest einigermassen „gut“ aussehen.
Das ist bei sehr kontrastreichen Motiven mit größeren dunklen Bereichen aber ein Problem.

Solche Bilder sollten oft besser vorsichtiger (knapper) belichtet werden.
Nach Schema F ausgearbeitet wirken sie dann auf dem Display aber zu dunkel. Trotzdem bieten sie dann bessere Voraussetzungen für die spätere angepasste Ausarbeitung.

Bei der reichlicheren Belichtung, die nach Schema F ausgearbeitet wird, sieht dagegen das Ergebnis auf dem Kameradisplay in heller Umgebung auf den ersten Blick zwar besser aus, hat aber oft keine Zeichnung mehr in den hellen Bildbereichen. Wenn man dieses Problem später am Monitor oder auf dem Ausdruck bemerkt, ist es zu spät. Nur durch eine direkt entsprechend angepasste Belichtung lassen sich solche Motive gut fotografieren.

Bei der Relonch besteht zumindest theoretisch die Möglichkeit anders vorzugehen. Es wäre denkbar, die Bilder tatsächlich im Falle des Falles knapper zu belichten. Dank des fehlenden Displays wird der Kunde nicht durch das zu dunkel wirkende Schema-F-Bild irritiert.
Mit einer cleveren Interpretation auf dem Server des Anbieters könnte das später erzeugte Ergebnis deutlich besser sein als das Bild, dass für die Displaywiedergabe herkömmlicher Kameras sofort kameraintern interpretiert werden und deshalb stärker belichtet werden muss.
Ob die Relonch diese Möglichkeiten auch wirklich ausnutzt, konnte ich allerdings nicht erkennen.

Camera as a service

Das ist dann auch schon das neue Geschäftsmodell, „Camera as a service“. Nicht das Gerät wird bezahlt, sonder die damit verbundene Dienstleistung.
Ganz ähnlich wie die quasi in Gold aufgewogene Tinte der im Prinzip fast verschenkten Tintenstrahldrucker. Oder wie der Herr Rockefeller, der angeblich Öllampen verschenkte, um dann teures Lampenöl zu verkaufen.
Die Kunden bezahlen mit jedem Foto einen Beitrag zur Kamera.
Da nur die guten Bilder ausgearbeitet und angeboten werden, und die vom Kunden dann nicht bezahlten Fotos auch nicht verwendet werden können, ist da durchaus auch etwas Kaufdruck vorhanden.

Kaufen?

Vermutlich um zu vermeiden, dass sich einige Leute die Relonch nur als stylishes Dekoobjekt um den Hals hängen und nie Bilder machen  (und so auch keine Bilder bezahlen), gibt es die Kamera zur Zeit anscheinend nur in den USA im Tausch gegen die bisherigen DSLR oder DSLM. Da diese aus Sicht von Relonch wegen der nicht zufriedenstellenden Bilder ja eh spätestens zwei Monate nach dem Kauf nur noch im Schrank liegen, ist das für den Kunden ein durchaus guter Tausch.
Man bekommt dabei den ursprünglichen Kaufpreis (also nicht nur den Zeitwert!) der eingetauschten Kamera als Guthaben, dass man dann nach und nach gegen Bilder einlösen kann.
Man tauscht also eine komplizierte Kamera mit schlechten Bildern gegen eine einfache mit guten Ergebnissen. Zumindest wenn es so klappt wie versprochen.
Außerdem gibt es wohl die Möglichkeit, die Relonch für spezielle Anlässe zu leihen.

Neuheit?

Ja, so wie es sich jetzt darstellt, mit Eintausch der Kamera etc., ist es wirklich neu.
Aber zu analogen Zeiten gab es eine vergleichbare Situation, bei der der Kunde für jedes Bild bezahlt hat. Man gab damals den belichteten Farbnegativfilm beim Großlabor ab. Er wurde entwickelt und dann wurden von allen Negativen Vergrößerungen gemacht.
Der Kunde bezahlte an der Bildertheke nur die die Bilder, die ihm gefielen, die anderen nahm er einfach nicht mit.
Da war’s natürlich im eigenen Interesse des Labors, von einem Film mit 36 Negativen so viele Vergrößerungen wie möglich so gut wie möglich zu machen, damit der Kunde sie begeistert mitnimmt. Und brav an der Kasse bezahlt. Auch unter- oder überbelichtete Bilder mit üblen Farbstichen wurden vom Labor aus purem Eigennutz gerettet, damit der damit verbundene Umsatz nicht verloren ging
So neu ist das Bezahlen pro Bild also nicht.

Irgendwie erinnert es sogar an Kodaks ursprüngliche Erfolgsformel: „You press the button, we do the rest.“ Damals hat der Kunde die Kamera mit belichtetem Film eingeschickt und bekam die Vergrößerungen sowie die Kamera mit frisch geladenem Film zurück.

Es hängt an den Algorithmen.

Ich finde das Konzept sehr spannend und könnte mir hier tatsächlich eine Zukunft  für eine Nische des Fotomarktes vorstellen.
Aber das hängt von mehreren offenen Fragen ab.

Erstens:
Sind ausreichend viele Fotografen bereit, den technischen Teil der Fotografie und das Hantieren mit den vielen Knöpfen und Rädchen links liegen zu lassen?
Durch meine Fotokurse habe ich den Eindruck, dass gerade viele meiner Geschlechtsgenossen dieser technische Teil sehr zu faszinieren scheint. Manchmal habe ich da das Gefühl, dass der Umgang mit der Fototechnik wichtiger ist als die Bilder, die dabei dann eher nebenbei und ohne richtige Absicht (und Gestaltung) entstehen.

Zweitens:
Wie gut sind die Algorithmen?
Bei den Beispielen auf der Website sieht das natürlich sehr gut aus, aber wie schlägt sich der Softwarepart in der Praxis. Werden die Bilder wirklich besser, oder ist das Ergebniss ähnlich, wie das, das der Computerteil der Kamera vollautomatisch erzeugt.

Drittens:
Werden diese tollen Algorithmen nicht auch Einzug halten in die normalen Kameras? Dann hätte die Relonch keine echten Vorteil mehr gegenüber den klassischen Kameratypen. Im Gegenteil, durch die fehlenden Einstellmöglichkeiten hätte sie dann für einige Kunden sogar Nachteile, denn der Fotograf wird dadurch in seinen Gestaltungsmöglichkeiten eingeschränkt.

Gefahr für mich?

Als Fotolehrer könnte ich mich jetzt natürlich bedroht fühlen von dieser Entwicklung, erlaubt sie es doch angeblich (sofern die Ankündigungen eingelöst werden) auch eher unbedarften Fotoneulingen großartige Bilder zu machen.
Aber ich fühle mich davon eigentlich überhaupt nicht betroffen. In meine Fotokurse werden sicher auch weiterhin die Leute kommen, die den kreativen Prozess der Bildentstehung selber steuern wollen. Und die den Ausarbeitungsprozess nicht ausschliesslich in die Hände schlauer Programme legen wollen.
Darüberhinaus, auch durch bessere Ausarbeitung bleibt ein langweiliges und/oder schlecht gestaltetes Foto ein langweiliges, schlecht gestaltetes Foto.
Ich könnte mir sogar vorstellen, dass der Effekt auf meine Auslastung eher positiv ist (auch wenn ich eh meistens ausgebucht bin).

Ich bin jedenfalls gespannt drauf, wie die Relonch ankommt (gerade auch in Deutschland, wenn sie dann 2018 global erhältlich sein soll) und ob sie sich eine Marktnische erobern kann.


Wenn Du die Grundlagen rund ums Fotografieren wie Belichtung, Automatiken und Belichtungskorektur, aber auch Bildgestaltung und Bildausarbeitung lernen willst: sie sind ein wichtiger Teil meiner Fotokurse zu den Grundlagen der Fotografie, die ich an der Fotoschule-Ruhr.de im Bereich Grundlagen-Fotokurse anbiete.

Vielleicht wäre das ja was für Dich.


Nachtrag Mitte 2019

Ich bin ja grundsätzlich eher neugierig (durchaus kein verkehrter Charakterzug für einen Fotografen).
Und so war klar, dass ich mit etwas Abstand mal nachsehen würde, was aus der „relonch“ geworden ist.
Der Name ist anscheinend Programm, die  Website der „relonch“ hat ein Relaunch erlebt, das Geschäftsmodell wurde zu einer iPhone App gewandelt. Also gibt es keine eigenständige Kamera mehr. Durchaus schade!

Ãœbrigens, wer glaubt, ich hätte hier nur „Dönekes“ erzählt, kann  die Originalwebsite der relonch bei archive.org noch finden.

Ich warte jetzt ab, ob die Idee noch mal neu belebt wird.

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Illustration Kaffeetasse

geschrieben/aktualisiert: / 26. Jul 2019

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