Der Sucher, doppelt unscharf wird nicht scharf!

Unscharf durch Fehlfokussierung oder durch falschen Dioptrienausgleich?

Scharf Unscharf

Viele Kameras bieten heutzutage die Möglichkeit, das Sucherbild durch einen Dioptrienausgleich an eine leichte Fehlsichtigkeit anzupassen.
Meist ist dazu am Sucher ein kleines Rädchen, an dem man die Dioptrien zur Korrektur einstellen kann.
Prima, aber wird das falsch einstellt, ist das Sucherbild dadurch auch bei richtiger Fokussierung unscharf.

Gelegentlich höre ich nun die Vermutung, dass unscharfe Fotos auch durch eine falsche Dioptrieneinstellung am Sucher der Kamera entstehen können.

Und ja, natürlich kann man das Sucherbild, wenn es unscharf erscheint, nicht so gut erkennen und die Schärfe nicht so gut beurteilen.
Aber auf das eigentlich Bild hat das überhaupt keinen Einfluss.
Und das „Warum“ werde ich jetzt hier erklären.

Der DSLR-Sucher

Bei DSLRs und Systemkameras gibt es sehr ausgefeilte Suchersysteme, die aber im Prinzip alle ähnlich funktonieren.

Diese Illustration aus meinem kostenlosen Fotolehrgang soll das verdeutlichen
Das vom Objektiv erfasste Abbild des Motivs wird bei einer DSLR  Ã¼ber einen Spiegel (gelb) auf eine Mattscheibe umgelenkt (grüner Strahlengang)
Diese ist vom Objektiv genauso weit entfernt wie der Sensor (rot).

Der Blick des Fotografen wird durch den Sucher über ein Prisma auf die Mattscheibe gelenkt. (blauer Bereich)
Wenn das Bild vom Autofokus (in der Regel durch Veränderung des Abstandes des Objektivs) fokussiert wird, wird es auf der Mattscheibe scharf dargestellt.

Und auch später beim Belichten auf dem Sensor wird es dann scharf erscheinen.
Dazu muss dann aber erst noch der Spiegel aus dem Weg geklappt werden. Und der Verschluß
muss sich (für die Dauer der Belichtungszeit) öffnen.

Eine durch den Abstand zum Objektiv richtig fokussierte Abbildung auf der Mattscheibe bedeutet automatisch eine richtig fokussierte Fotografie.

Der Sucher der Systemkamera

An einer Systemkamera fallen Spiegel und Mattscheibe weg.
Das Bild wird vom Objektiv direkt auf den Sensor geworfen. Dieser erzuegt jetzt nicht nur bei der Belichtung ein Foto, sondern er arbeitet ständig. Das von ihm erzeugte Livebild wird auf einem Bildschirm auf der Kamerarückseite wieder gegeben und/oder auf einem Display, auf das man durch einen Sucher blickt.

Eine scharfe Abbildung des Motivs auf dem Display bedeutet auf jeden Fall eine richtig fokussierte Fotografie.

Dioptrienausgleich

Der Dioptrienausgleich

Vorsicht, dass ist nicht die Belichtungskorrektur, sondern der Dioptrienausgleich.

Um den Augen einen entspannten Blick durch den Sucher zu erlauben, sind die meisten Sucher der DSLRs und Systemkameras so aufgebaut, dass die Augen auf etwa 1m Entfernung fokussieren müssen. Dann lässt sich das Sucherbild scharf erkennen.

Im Alter oder durch Erkrankungen werden die Augen schlechter (oder sie sind es bereits). Dann fällt dieses Fokussieren schwer oder wird gar unmöglich.
Durch einfache Eingriffe kann man aber dies Art von Fehlsichtigkeit recht einfach ausgleichen. Das macht man am Sucher der Kamera mit dem Dioptrienausgleich. Dem Sucher wird dann quasi eine Lesebrille nachgeschaltet.

Wie man den Dioptrienausgleich einstellt

Den Dioptrienausgleich des Suchers stellst Du am besten ein, indem Du das (evtl. unscharfe) Sucherbild komplett ignorierst.

Bei eingeschalteter Kamera kannst Du bei den meisten Kameras im Bild oder direkt darunter die Anzeigen für die Belichtung usw. erkennen.
Sie sind im Sucher fast immer genauso weit entfernt wie das eigentliche Sucherbild. Deshalb 
eignen sich hervorragend als Referenzziel für die Einstellungen.
Dreh dazu solange am Rad  ;-),   bis diese Anzeigen in maximaler Schärfe erscheinen. Der für Dein Sucherauge passende Dioptrienausgleich sollte damit gefunden sein.

Falscher Dioptrienausgleich

Fehler beim Einstellen des Dioptrienausgleichs an der Kamera sind ärgerlich. Aber oft nicht wirklich tragisch.
Das Bild, das man im Suche einer DSLR oder Systemkamera sieht, wird durch die Dioptrieneinstellung zwar im Sucher unschärfer aussehen, aber diese Einstellung wirkt sich nicht auf das fotografierte Bild aus.
Dessen Fokussierung passiert ja quasi auf der anderen Seite der Mattscheibe. Oder des Displays. Fehler, die hinter diesem Bereich passieren, sind für das Bild egal. Sie machen aber evt. dem Fotografen das Leben schwerer als nötig.
Solche Fehler können neben zum Beispiel Staub oder Kratzer auf der der Mattscheibe sein. (Oder auf dem Spiegel einer DSLR) . Sie kommen nicht aufs Bild, stören aber beim Blick durch den Sucher.
Und genauso verhält es sich mit dem falschen Dioptrienausgleich.

Die Arbeitsweise des Autofokus wird von der Dioptrieneinstellung überhaupt nicht beeinflusst. Meist ist es sogar noch sehr gut möglich, trotz des unscharfen Sucherbildes das grüne Aufleuchten der Anzeige für korrekte Fokussierung erkennen.
Und selbst ohne irgendwelche Hilfsmittel und Anzeigen kann man in der Regel zumindest erahnen, wann das Bild am wenigsten unscharf ist. So ist sogar manuelles Fokussieren möglich, auch wenn es dann keinen rechten Spaß macht.

Minus mal Minus ist nicht immer plus

Auch bei manueller Fokussierung wird durch eine falsche Dioptrieneinstellung aus einem richtig fokussierten Bild kein unscharfes Foto.
Damit ein falsch eingestellter Dioptrienausgleich bei Verzicht auf den Autofokus eine Unschärfe im Bild verursacht, müsste er dem Fotografen ja beim Blick durch den Sucher ein schärferes Abbild (eines durch falsche Fokussierung unscharfen Motivs) vorgaukeln. 

Beim Blick auf den Monitor oder die Mattscheibe sieht man bei falschem Dioptrienausgleich aber nur ein unscharfes Abbild des Monitors oder der Mattscheibe. Wenn das auf dem Monitor bzw. der Mattscheibe abgebildete Bild bereits unscharf war, wird es nicht schärfer aussehen, sondern noch unschärfer wirken.
Wäre es anders könnte man statt Lesebrillen zu verkaufen ja auch einfach unscharfe Schriften drucken. Die würden die Fehlsichtigen dann ja dank der Fehlfokussierung ihrer Augen wiederum scharf sehen ;-)

Oder, etwas ernster begründet:
Ein unscharfes Bild zeigt weniger Details. Das gilt auch für das Sucherbild auf der Mattscheibe oder dem Display.
Um als scharf erkannt zu werden, müssten aber mehr Details im Sucher zu sehen sein.
Doch woher sollen in dem Bild auf einmal die Details entstehen? Woher sollen die dazu nötigen Informationen kommen, wenn jemand mit einem falschen Dioptrienausgleich darauf schaut?

Das unscharfe Sucherbild kann also auch durch eine falsche Dioptrieneinstellung nicht schärfer aussehen. Dem manuell fokussierenden Fotografen kann so kein korrekte Fokussierung des Motivs vorgegaukelt werden. 

In keinem Fall wird das Bild durch eine falscher Dioptrieneinstellung bei einer Fehlfokussierung schärfer aussehen als bei korrekter Lage der Schärfenebene.

Minus mal Minus ergibt hier eben nicht plus. ;-)
Als Ursache für unscharfe Bilder fällt der Dioptrienausgleich also auch bei manueller Fokussierung weg.

Fotomythen

Leider treten solche falschen Hinweise da draussen im Internet immer mal wieder auf. Gelegentlich übersteigt die Hilfsbereitschaft eben das Fachwissen des Einzelnen, dann kommen (in bester Absicht) solche Tipps dabei heraus.
Und leider ist man als Anfänger solchen eigentlich gut gemeinten Fehlern recht hilflos ausgeliefert.

Das ist dann zum Beispiel im hier besprochen Fall sehr ärgerlich, wenn man dann anfängt, unnötigerweise an der Dioptrieneinstellung zu schrauben, anstatt nach den tatsächlichen Ursachen zu forschen. (Das könnten zum Beispiel Fehler im Umgang mit dem Autofokus oder einen zu lange Belichtungszeit sein. Oder eine zu geringe Schärfentiefe dank zu weit geöffneter Blende.)
Du solltest Dir in jedem Fall genauer ansehen, auf wessen Rat Du Dich verlässt.
Sonst fummelst Du an den Dioptrien herum, obwohl es evtl. nur ein ganz simpler Verwackler war, der zur Unschärfe führte.
Siehe auch meinen Text „Trau Schau Wem…“ und den Beitrag zum Thema Unschärfe durch Verwackeln und

An der Stelle darf ich vielleicht noch ein bisschen Eigenwerbung machen: Der Umgang mit dem Autofokus und andere wichtige Themen wie Belichtung, Automatiken und Belichtungskorrektur,  aber auch Brennweite, Bildgestaltung und Bildbearbeitung sind ein wichtiger Teil meiner Fotokurse zu den Grundlagen der Fotografie, die ich an der Fotoschule-Ruhr.de anbiete.
Ich würde mich freuen, Dich da zu sehen.

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Illustration Kaffeetasse


4 thoughts on “Der Sucher, doppelt unscharf wird nicht scharf!

  1. A. Otto

    Der erste genauso gründliche wie verständliche Beitrag zu den Themen Dioptrienausgleich und Fehlfokussierung, den ich nach ewigem Googeln gefunden habe! Dank an den Autor.

    Antworten
  2. Knut

    Vielen Dank für diesen Beitrag. Endlich habe ich es mal begriffen und brauche mir keine Sorgen mehr zu machen, ob ich beim Fotografieren die Brille aufziehen soll oder nicht. Mit der Maßgabe „am wenigsten unscharf“ kann ich gut leben

    Antworten

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